19. ZOG fand in Dinkelsbühl regen Zuspruch
Bei den Zeidner Nachbarschaftstreffen,besonders nach 2001, hat der Zeidner ortsgeschichtliche Gesprächskreis (ZOG)im Rahmenprogramm einer viertägigen Begegnung schon längst seinen Platz gefunden und sich fest etabliert. Mittlerweile wissen unsere interessierten Mitglieder und fleißigen Zeidner-Gruß-Leser mit dem Begriff etwas anzufangen. Die bisherigen durchaus vorzeigbaren Ergebnisse in Form von Bucherscheinungen in der Schriftenreihe „Zeidner Denkwürdigkeiten“ stellen unter Beweis, dass es sich weiterhin lohnt, der Heimatkunde und Ortsgeschichte Zeidens – gerade in solchen Gesprächskreisen – ein gesundes Maß an Aufmerksamkeit zu schenken und auf diese Weise auch Geschichte aufzuarbeiten und vor allem aufzuschreiben. Und so waren Udo Buhn und Helmuth Mieskes, die beiden ZOG Verantwortlichen, auch bei diesem Treffen in Dinkelsbühl dankbar, das Treffen erneut als willkommene Plattform für ihre ortsgeschichtliche Arbeit und das durchaus anhaltende Interesse an dieser Arbeit anzubieten.
Während einige Teilnehmer dieses Treffens am Freitag, dem 5. Juni 2015, die Zeit nutzten, um die interessante Geschichte der fränkischen Stadt Dinkelsbühl in Erfahrung zu bringen, hatte Helmuth Mieskes die Gelegenheit, im Konzertsaal des Spitalhofes in Dinkelsbühl über 60 Gäste zum 19. Gesprächskreis zu begrüßen, der ganz im Zeichen der Geschehnisse im Revolutionsjahr 1989 in Rumänien und der Ausreise von Zeidnern in den Monaten danach stand.
Nach einer kurzen Programmvorstellung, in der Helmuth Mieskes auf die Bedeutung der Ereignisse von 1989/1990 hinwies - besonders auch für die gesellschaftliche und die kirchliche Entwicklungin Zeiden–, ging man der Frage nach: „Wie war das damals 1989/1990 in Zeiden?“ Mit einem kurzen geschichtlichen Vorspann zu den Ereignissen im Dezember 1989 versuchte Mieskes, ein Stück Zeitgeschichte, die 25 Jahre zurück lag, Revue passieren zu lassen und die wichtigsten politischen Geschehnisse von damals in Erinnerung zu rufen. Letztendlich konnte auch er nur die allgemein bekannte Erkenntnis bejahen, dass das Jahr 1989 mit Sicherheit eines der wichtigsten in der Geschichte der Ostblockstaaten ist.
Mit der Liberalisierung des Moskauer Kurses wurde der eigentliche umfassende Reformprozess eingeleitet und die notwendige Voraussetzung für mehr persönliche Freiheit und ein würdevolles Leben geschaffen. Nicht unerwähnt blieb die Tatsache, dass zwischenzeitlich die Berichterstattung über die damaligen Geschehnisse in Rumänien historisch korrigiert und mit Hilfe von Beweisen und Zeugenaussagen revidiert wurde. Ob dabei die ganze Wahrheit herausgefunden werden konnte, bezweifelte der Referent jedoch.
Nachdem die rumänische Übergangsregierung am 3. Januar 1990 Reisefreiheit für alle rumänischen Staatsangehörigen angekündigt hatte und zwei Wochen danach das neue Passgesetz verabschiedet
wurde, begann auch in Zeiden eine noch nie dagewesene Ausreisewelle, die innerhalb weniger Monate das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben in Zeiden schlagartig veränderte. Der Aderlass war so gewaltig, dass das öffentliche Leben sich innerhalb von wenigen Wochen grundlegend veränderte. Die meisten Zeidner Sachsen waren mit der Vorbereitung ihrer Ausreise beschäftigt und wollten das Land so schnell wie möglich verlassen. Anderweitige Sorgen und Bedürfnisse wurden bewusst verdrängt, um für die Erfüllung des eigentlichen Lebenstraums gut und vor allem rechtzeitig gewappnet zu sein. Die berechtigte Sorge,dass der jetzt erlangten Reisefreiheit für alle ein baldiges Ende bereitet werden könnte, war stets präsent.
Hier unterbrach Mieskes seine Ausführungen, um Udo Buhn mit einem Beitrag die Gelegenheit zu geben, über die größten Hilfsaktionen der Zeidner Nachbarschaft im Jahr 1990 zu berichten (Udo Buhn hatte persönlich alle vier Hilfsaktionen begleitet) und mittels PowerPoint-Präsentation die Aktionen von damals in Bild und Text in Erinnerung zu rufen.
Ausschnitte aus zum Teil rührenden Briefen machten deutlich, wie freudig die Lebensmittelpakete und Hilfsgüter damals entgegengenommen wurden und welchen Dank die Helfer aus Deutschland vor Ort oder nach ihrer Abreise über Briefe erfuhren. Außerdem konnte man dem Inhalt verschiedener Briefe die damalige hektische Aufbruchstimmung entnehmen.
Gehen oder bleiben? Diese Frage stellte sich für die meisten Zeidner in der ersten Jahreshälfte 1990 gar nicht mehr. Die Entscheidung stand für die meisten fest. Anders als in den Jahren zuvor erlebten die Ausreisewilligen ihre letzten Wochen und Monate in Zeiden ganz anders. Allein der Gedanke, den Ausreisezeitpunkt selbst bestimmen zu können, war ein Gefühlszustand, an den die meisten sich noch gewöhnen mussten.
Im Anschluss an aussagekräftige Bilder und Hinweise zu diesen spontanen Hilfsaktionen kamen in einer offenen Gesprächsrunde mehrere Personen zu Wort, die diese spannende, nervenaufreibende und durchaus geschichtsträchtige Zeit in Zeiden persönlich miterlebt hatten.
Für die Freiwillige Feuerwehr schilderte ihr letzter Obmann Harald Aescht (1986-1990) seine damaligen Eindrücke und Empfindungen. Der letzte Feuerwehrball im Februar 1990 fand bereits unter erkennbaren Veränderungen statt. Infolge der zunehmenden Reduzierung der Mannschaftsstärke wurde die sächsische Freiwillige Feuerwehr schließlich am 13. September 1990 aufgelöst und an die ungarische Minderheit übergeben. Damit verlor Zeiden innerhalb weniger Monate einen wichtigen Verein, der neben seiner eigentlichen Hauptaufgabe jahrzehntelang mithalf, dass das kulturelle Leben sich in Zeiden in besonderem
Maße entfalten konnte.
Frieda Kloos , geb. Zay, die ehemalige stellvertretende Rektorin der deutschen Schulabteilung, zeichnete ein Bild der deutschen Klassen in den Wintermonaten 1989/1990. Bis zu ihrer Ausreise im Mai 1990 hat sie das Durcheinander an der Schule (mit Schülerschwund, Reduzierung der Klassenstärken, Auflösung der deutschen Schulklassen, Ausreise von Lehrkräften, Lehrersuche, „Einhaltung von Lehrplänen“) mit anderen deutschen Lehrkräften (u.a. Sigrid Wagner, Helmut Adams, Georg Schirkonyer, Werner Dück) persönlich miterlebt und gemeinsam nach Kräften dafür gesorgt, dass zumindest geregelter Unterricht für diejenigen Schüler stattfinden konnte, deren Eltern keine Ausreiseabsichten hegten. Ein schwieriges Unterfangen, zumal man selbst den Absprung vorbereitete und mit den Gedanken bei den im Westen leben den Angehörigen und Freunden weilte.
Theo Zeides, damals engagiertes Mitglied verschiedener Kulturgruppen in Zeiden, schilderte in beeindruckender Weise, wie seine Familie die Dezembertage 1989 und den Monat Januar 1990 erlebte. Theo hatte das gesellschaftliche Leben in Zeiden urplötzlich ausgeblendet und nur auf den Ausreisetag gewartet und darauf hingearbeitet. Bestätigen konnte er, dass in Zeiden keine Schüsse gefallen sind und in der Fabrik „Scule Codlea“, wo er beschäftigt war, die Arbeit weiterlief, die Beschäftigten sehr gespannt und aufgeregt waren, jedoch keine Gewaltaktionen und Übergriffe zu verzeichnen waren.
Sein Vater Michael Zeides, damals Kurator der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Zeiden (vom 22.10.1989 bis 15.4.1990) hat die kürzeste Kuratorenzeit in der Geschichte der Kirchengemeinde
Zeiden der Revolution in Rumänien zu verdanken. Während er die letzte Konfirmation unter Pfarrer Hermann Thalmann (am 8. April 1990), die Verabschiedung von Pfarrer Thalmann und die Probepredigt von Pfarrer Schwarz noch im Amt miterleben durfte, war er bei der Amtseinsetzung des neu gewählten Stadtpfarrers Heinz Georg Schwarz (am 8. Juli 1990)bereits nach Deutschland ausgereist. Eine
Befragung durch die Securitate gehörte bei ihm vor seiner Ausreise ebenso zu den besonderen Erlebnissen jener Tage wie die Tatsache, dass er als scheidender Kurator durchaus auch eine
Gewissensentscheidung treffen musste.
Mit Peter Foof, dem seit 2011 amtierenden Kurator der Kirchengemeinde Zeiden, konnte Udo Buhn einen weiteren Zeidner befragen, der sich nach 1989 als Einziger unter den Befragten für das Bleiben entschieden hatte. Als ehemaliger und langjähriger Direktor der Möbelfabrik „Magura Codlei“, der nach 1977 die Geschicke dieser Firma wesentlich mitbestimmte und die Firma innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einem planwirtschaftlich profitablen Betrieb entwickelte, schilderte er anschaulich die Begebenheiten in der Möbelfabrik. Auch er bestätigte, dass nach den Geschehnissen vom 22. Dezember 1989 die Möbelfabrik von Unruhen und Gewaltakten verschont geblieben war und für den Schutz des Betriebes und seiner Angestellten keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden mussten. Den detaillierten Schilderungen konnten die Zuhörer entnehmen, wie mit der Bildung von teils gesetzlich zugelassenen Gewerkschaften sich das Bild des Betriebes veränderte, wie Personal danach abgesetzt wurde (u.a. traf es auch ihn als Direktor), wie die Produktion plötzlich erkennbare Defizite aufwies und welche Faktoren (u.a. Unrentabilität) letztendlich für den Untergang der einst renommierten Zeidner Möbelfabrik entscheidend waren. Mieskes wies auf Foofs immenses Insiderwissen hin und stellte fest, dass der Untergang der Firma schriftlich festgehalten werden sollte. Interessant war außerdem zu erfahren, dass am Heiligabend 1989 erstmals kein Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Zeiden stattfand. Ursache hierfür war die
instabile politische Lage im Land. Wohl eine Einmaligkeit in der Geschichte der Kirchengemeinde.
Udo Buhn bedankte sich bei den Befragten für ihre spontane Bereitschaft, von damals zu erzählen, und bat die Runde, das Erzählte unbedingt auch schriftlich festzuhalten, da das Projekt „Die Aussiedlung aus Zeiden“ noch längst nicht abgeschlossen ist und jeder Beitrag, sei er noch so kurz, willkommen ist. Buhn ermunterte die Anwesenden, von dem von Helmuth Mieskes ausgearbeiteten Fragenkatalog Gebrauch zu machen. Dabei sei es egal, ob jemand die Erinnerungen an seine Ausreise ausführlich niederschreibt oder sich bloß einer einzelnen Episode widmet, die direkt mit den Ausreisebemühungen oder der Ausreise zu tun hat.
Den Abschluss des Gesprächskreises gestalteten Franz Buhn und Hans Wenzel mit ihren Kurzbeiträgen zur Zeidner Mundart. Während Franz Buhn der Frage nachging „Wie organisieren wir in Zukunft die Pflege unserer Mundart?“ und dabei auch einen durchaus interessanten und weiter zu verfolgenden Vorschlag unterbreitete, ging Hans Wenzel auf die Besonderheiten der Zeidner Mundart ein. Ihre eindringlichen Ausführungen zur Pflege der Mundart im Allgemeinen und speziell der Zeidner Mundart ließen leicht erkennen, dass sie ihr innerhalb der sächsischen Gemeinschaft gerne einen höheren Stellenwert einräumen möchten. In Kostproben des Zeidner Dialekts hatten sie sowohl mit ihren Gedichtvorträgen als auch mit der Erinnerung an längst vergessene Zeidner Wörter (z.B. Tinnantaeataskan = das Hornveilchen, oder batreabst = entmutigt, lustlos) die Lacher auf ihrer Seite.
Mit aktuellen Mitteilungen aus der Kirchengemeinde Zeiden, vorgetragen von Pfarrer Andreas Hartig und Kurator Peter Foof zum Kirchenprojekt der Landeskirche, zu einer bereits veräußerten Liegenschaft der Kirchengemeinde (1853 erbaute Mädchenschule in der Marktgasse) und zur Einrichtung eines Heimatmuseums in Zeiden, ging der fast dreistündige Gesprächskreis zu Ende.
Udo Buhn bedankte sich bei den Teilnehmern des Gesprächskreises für ihr Interesse und warb erneut um die Unterstützung seiner Landsleute, weil es immer wieder mal heißt: Wer hat alte Fotos? Wer weiß Bescheid und kann uns weiterhelfen?
Helmuth Mieskes
Böbingen