09/13/24

„Heimat ist auch dort, wo man seine Toten hat“

Auf vielfachen Wunsch stellen wir die Rede von Annette Königes zum Totengedenken auf dem Friedhof anlässlich der 6. Zeidner Begegnung 2024 auf unsere Webseite.

„Uns alle, die wir uns heute hier versammelt haben, verbindet die Erinnerung an unsere Vorfahren, die hier ihre ewige Ruhe gefunden haben.

Was ist von ihnen geblieben außer den Gräbern? Vielleicht nicht einmal diese, da einige Gräber bereits aufgelöst worden sind.

Der Friedhof ist geblieben. Es ist nicht mehr der Friedhof, den wir in Erinnerung haben. Wir kennen nicht mehr alle Namen auf den Grabsteinen. Es ist nicht mehr der Friedhof mit blühenden Gräbern, wo man sich gerne traf, sei es zum Gießen oder zum Pflanzen. Ich erinnere mich, dass ich sogar als Kind gerne auf den Friedhof gegangen bin. Und wen wundert es, dass er sich verändert hat. Die meisten Nachfahren der hier Begrabenen sind ausgewandert und die Pflege der Gräber wird verständlicherweise immer schwieriger. Mit der Gemeinschaft ändert sich auch der Friedhof.

Mauern sind geblieben, die mit viel Fleiß und gemeinschaftlichem Engagement im Laufe der Jahrhunderte errichtet wurden, sei es die Kirche mit der Kirchenburg, seien es Kultureinrichtungen oder Wohnhäuser. Mauern kann man flicken, renovieren, restaurieren. Aber Menschen kommen und gehen. Nur Grabsteine erinnern noch an sie.

Was tragen wir in uns von diesen Menschen, die hier über Jahrhunderte gelebt, gekämpft, gearbeitet und gefeiert haben und hier gestorben sind?

Sicher mehr als uns bewusst ist. Auf jeden Fall aber ein Bedürfnis nach und einen Sinn für Gemeinschaft. Wir brauchen Gemeinschaft, auch wenn wir heute im Wohlstand leben und nicht mehr aus Not zusammenhalten müssen. Deshalb gibt es immer wieder Zusammenkünfte, Treffen, Begegnungen und nicht zuletzt die Zeidner Nachbarschaft, Dreh - und Angelpunkt wider das Vergessen. Und immer wieder Zeiden, der Ort, wo unsere siebenbürgische Geschichte begann und immer noch weiterlebt, dank einer kleinen, aber engagierten Gemeinschaft, der wir, die wir gegangen sind, sehr dankbar sind.

Was haben wir gelernt von unseren Vorfahren?

Wir haben gelernt, mit Herausforderungen umzugehen, und nicht zu verzagen, wenn etwas nicht nach unseren Vorstellungen läuft. Wir haben gelernt, uns anzupassen, ohne uns aufzugeben.

Aber wir mussten auch neu dazulernen. Während für die Vorfahren Geschlossenheit entscheidend war für das Überleben, so ist heute Offenheit gefragt. Werden wir wehrlos untergehen, wie es der Dichter Michael Albert vorhergesagt hat in dem Gedicht „Deiner Sprache, deiner Sitte, deinen Toten bleibe treu?“

Vielleicht sind wir wie der Birnbaum im gleichnamigen Gedicht von Michael Albert, in dem es in der letzten Strophe heißt:

Ob mancher Zweig ihm heut verdirbt,

er treibt stets neue Glieder;

nur wenn der Baum von innen stirbt,

dann grünt er nimmer wieder!

Auch wenn der Baum unserer Gemeinschaft nicht mehr den dicken Stamm besitzt und die ausladende Krone trägt, so gibt es doch noch Wurzeln, aus denen er Kraft zieht und neue Glieder treibt. Es gibt sie, diese Gemeinschaft, deren Grundstein unsere Vorfahren gelegt haben, wenn auch stark verändert, ja geschwächt, manchmal zerrissen, aber immer mit dem Bestreben, das was möglich ist, in Gemeinschaft zu erleben.

Wir können nicht anders, als immer wieder herzukommen, denn hier sind unsere Wurzeln, hier ist der Ort, von wo wir herkommen, egal wo wir leben auf der Welt, denn Heimat ist auch dort, wo man seine Toten hat.

Wir können und wollen nicht vergessen, was unsere Vorfahren geleistet haben, was sie uns mitgegeben haben, was wir von ihnen gelernt haben und ihnen ein ehrendes Andenken bewahren. In unseren Herzen, in unseren Erinnerungen, und nicht zuletzt in unseren Genen leben sie weiter.“