08/21/22

Zeiden gestern und heute. Ein Spaziergang und viel mehr

Im Rahmen des Siebenbürgischen Kultursommers 2022 fand am 10. August ein „Rundgang am Waldrand von Zeiden“ mit über 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Darunter waren Landsleute aus Zeiden und Deutschland sowie Gäste aus Deutschland. Der Zeidner Berg war an diesem Tag, anders als auf dem Einladungsbild, in Wolken verhüllt, kurze Zeit gab es leichten Nieselregen. Die Temperaturen waren allerdings wie bestellt für einen Wandertag. Startpunkt war um 9 Uhr im Zentrum der Eingang zu Museum und Kirche.

Unter der kundigen Leitung von Altnachbarvater Udo Buhn sowie der Mithilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums und der Kirche erfuhr die Gruppe allerlei Wissenswertes aus Vergangenheit und Gegenwart über die jeweiligen Orte, Straßen, Plätze, Häuser und Gegenden. Die Bezeichnungen in den verschiedenen Sprachen, die unseren Spaziergang begleiteten und für so manches fremde Ohr verwirrend klingen mögen, zeugen von den jeweils unterschiedlichen historischen und kulturellen Prägungen. Insgesamt stehen sie für den besonderen Reichtum des vielsprachigen Ortes. In der Marktgasse, die im sächsischen Dialekt Muårálgäoss heißt (zurückzuführen auf den auf der Straße vorhandenen Morast, bedingt durch das vom Zeidner Berg talwärts fließende Wasser) und im Rumänischen strada Măgurii, ging es vorbei an den Schulen, den ehemaligen Wohnhäusern von Eduard Morres und Michael Königes, am Zeilchen (Zeltschán) in die Nelkengasse. Hier breitet sich das neue Nelken-Viertel (Cartierul Garoafelor) mitsamt Friedhof und orthodoxer Kirche aus. Der Name des Viertels ist allerdings historisch, zumal diese Blumen in Zeiden nicht mehr kultiviert werden. Ein kritischer Blick fiel auf das neue in Bau befindliche Sportzentrum am Rande des Viertels, das auch ein Schwimmbecken erhalten soll. Unterwegs wies die Museumsleiterin Corina Slăveanu die Gruppe immer wieder auf neue Wegweiser und in Planung befindliche Wanderwege hin.

Nach dem Aufstieg auf die Steilau (Stáoeláeo) – der Ort macht seinem Namen alle Ehre –, wo bei mancher Zeidnerin und manchem Zeidner Kindheitserinnerungen an Schlittenfahrten aufkamen, konnte man den weiten Blick ins Burzenland genießen. Danach stieß die Gruppe auf eine mit EU-Mitteln gleich einer Wunde in die Landschaft geschlagene Forststraße, deren Sinn und Zweck sich niemandem so recht erschließen konnte. Im Schulfest ließ es sich die Gruppe nicht entgehen, auf die aus dem Smartphone ertönenden Klänge der Blasmusik durch den Wunderkreis zu schreiten, um am Ausgang zwar keinen „Kipfel“, aber dennoch eine kleine süße Überraschung zu erhalten.

Die Erzählung am Bergelchen von der uns überall auf unserem Waldrandspaziergang begegnenden Wegwarte, einem alten Heil- und Nutzkraut, als Sinnbild der treuen Liebe passte wohl sehr gut zu diesem Tag. Einer alten Sage zufolge stellen die zarten Blüten die blauen Augen einer verwandelten Prinzessin dar, die am Weg vergeblich auf die Rückkehr ihres Geliebten vom Kreuzzug in das Heilige Land gewartet hat. Und erneut schweifte der Blick von dem Hügel, auf dem einige Zeidnerinnen und Zeidner das Skifahren erlernt haben, in die Ferne, auf die die Burzenebene umrahmenden Gebirge. Auch hier deutete so manche Bemerkung auf Vergangenes, wie die rumänische Bezeichnung des Ortes „Mărul dulce“. Der Apfelbaum steht schon seit geraumer Zeit nicht mehr.

Weiter ging es über den Hellenbrunnen durch kulturell verschieden geprägte Viertel. Häuserzeilen wechselten ab mit Wiesen und Buschwerk. Über die Gaiskuppe (Goáeßkåepchán), Humerschburg bzw. Humbertusburg und Muckerer Friedhof gelangte die Gruppe über einen schmalen steilen Pfad zum Healech Bierech, von wo sich erneut ein weiter Blick Richtung wolkenverhangenem Butschetsch auftat. Am Fuß der Anhöhe, unterhalb des Herzwaldes (Håerzbasch) und unweit der örtlichen Müllhalde, liegt isoliert von den übrigen Stadtvierteln, als sollte es vor fremden und eigenen Augen „versteckt“, ja „vergessen“ werden, das Roma-Viertel Mălin mit seinen nichtasphaltierten Straßen. Die Frage drängt sich auf: Ist für die Lokalverwaltung die lebenswürdige Gestaltung dieses Viertels genauso wichtig wie so manches Großprojekt in der Stadt?

Nach einer kurzen, aber üppigen Jause mit lauter Leckerbissen, die der Küster und Verwalter der Kirche Horst Schuller für uns gekonnt ausgebreitet hat, ging es weiter in das Zentrum des rumänischen Viertels zur rumänisch-orthodoxen Kirche. Dort empfing der Gastgeber und auskunftsfreudige Pfarrer Gheorghe Cioacă die Gruppe. Wussten Sie, dass die Kirche während der kurzen zehnjährigen Toleranzperiode unter der Herrschaft des habsburgischen Kaisers Josef II. 1783 in Form eines Schiffes erbaut und 1784 geweiht wurde? Und wussten Sie, dass das heutige Aussehen, der Turm, die Malerei im Inneren und die Apsiden, in das Jahr 1935 zurückgeht? Pfarrer Cioacă blickte verschmitzt in die Runde und sagte, der Volksmund würde die in dieser Kirche besonders ausladenden Apsiden mit den Brüsten Maria Theresias gleichsetzen.

Über Kreuzgasse (Kroáezgäoss) und Weihergasse (Wáoeárgäoß) ging es durch die Langgasse (Longgäoss) zurück zum Ausgang der Wanderung und zum nächsten Programmpunkt, dem seit 2016 bestehenden und seither gut besuchten Museum der Zeidner Traditionen und öffentlichen Lokalverwaltung (Muzeul Tradițiilor Codlene și al Administrației Publice Locale). Engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter präsentierten die Exponate in den professionell eingerichteten Räumen. Der angestrebte Anspruch, die Traditionen aller einheimischen Ethnien zeigen zu wollen, ist nicht nur hoch und lobenswert, sondern geradezu unerlässlich. Denn ohne die Einbeziehung der Geschichte aller Bewohnerinnen und Bewohner kann die Gegenwart nicht verstanden und die Zukunft nicht gestaltet werden. Der Betrachterin und dem Betrachter öffneten sich in diesem lebendigen Museum die Türen zu einer vielgestaltigen und komplexen Vergangenheit, als deren Teil sie sich jeweils begreifen konnten.

Aus dem Museum ging es über den Kirchhof und unterhalb des frisch renovierten und in hellen Farben leuchtenden Kirchturms in die Kirche, wo der bereits wartende Organist Klaus-Dieter Untch sich mit Herzblut seinem Arbeitsplatz zuwandte. Auch wenn die Orgel regelmäßigen Wartungen unterzogen wird, müssen auch größere Renovierungsmaßnahmen durchgeführt werden, wie auch so manche Klänge bzw. Missklänge dies belegten. Ein bewährtes Mittel, solche Vorhaben finanzieren zu können, besteht, wie Untch erläuterte, in der Übernahme von Pfeifenpatenschaften. Auch sonst ist im Kircheninnenraum einiges in Bewegung, das Unterstützung benötigt. An den Wänden im Altarraum wurden, wie in so mancher siebenbürgisch-sächsischen Kirche, vorreformatorische Fresken entdeckt.

Zum Abschluss wurde der Kirchenraum von den Klängen des Königsinstruments erfüllt. Klaus-Dieter Untch präsentierte eigene Improvisationen in barocker Stilrichtung zum Choral „Von Gott will ich nicht lassen“: zunächst ein Präludium, dann verschiedene Variationen, gefolgt von einer Fuge und einem Anhang.

Anschließend klang die so vielfältige, lehrreiche und von Udo Buhn gut organisierte Tagesveranstaltung des Siebenbürgischen Kultursommers 2022 bei sehr schmackhafter Hanklich, Gegrilltem, von Akkordeon und Gitarre begleitetem Gesang sowie vielen Gesprächen im Zeidner Pfarrhof aus.

Hans-Christian Maner

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