07/29/18

Das etwas andere Sommerreiseprogramm

Unter dem Motto „Arbeit, Natur und Kultur“ organisierten Udo Buhn und Annette Königes im Rahmen der Zeidner Nachbarschaft eine Reise nach Siebenbürgen, die es in sich hatte. Sie bot alle Ingredienzen einer Woche, über die die Teilnehmer sicherlich noch lange gerne erzählen werden, weil sie sich doch stark von einer klassischen Reise unterschied.

Unter dem Motto „Arbeit, Natur und Kultur“ organisierten Udo Buhn und Annette Königes im Rahmen der Zeidner Nachbarschaft eine Reise nach Siebenbürgen, die es in sich hatte. Sie bot alle Ingredienzen einer Woche, über die die Teilnehmer sicherlich noch lange gerne erzählen werden, weil sie sich doch stark von einer klassischen Reise unterschied.

2017

Im vergangenen Jahr – bei der fünften Zeidner Begegnung in Siebenbürgen - fand auch ein zweitägiges „Arbeitscamp“ statt, sprich, Altnachbarvater Udo Buhn hatte rund 20 Interessenten dafür begeistern können, den Schutt von hunderten von Jahren aus den Kornkammern der Kirchenburg wegzuräumen. Während dieser Initiative entstand die Idee, rund um diese Freiwilligen-Arbeit auch ein Rahmenprogramm anzubieten in der Hoffnung, weitere Menschen für dieses Programm zu begeistern.

Und siehe da, die Idee zündete, rund 30 Zeidner und Nichtzeidner ließen sich auf diese Idee ein. Zwei Tage wurde auf dem Kirchhof fleißig gearbeitet, sechs Tage bereisten die Teilnehmer die Region rund um Zeiden. Verantwortlich für diesen zweiten Teil zeichnete die erfahrene Münchner Stadtführerin und überzeugte Zeidnerin Annette Königes, die schon von Anfang an darauf hinwies, dass es ihr unter anderem darum geht, auch interessante Menschen zu begegnen, die etwas bewegt haben, die Geschichten erzählen können. „Hohe Berge, schöne Wälder gibt es überall, aber die Begegnungen mit den Menschen sind das, was bleibt“, ist Annette überzeugt.

Die ersten beiden Tage waren also dafür vorgesehen, weitere Kornkammern zu säubern, nachdem man im vergangenen Jahr damit begonnen hatte, diese auszuräumen. Bei schönstem Wetter und einer heiteren, lockeren Stimmung begrüßte der Altnachbarvater die Freiwilligen. Es war eine bunte Mischung von Menschen, Jung und Alt, die in Zeiden leben, dann Zeidner, die seit 20, seit 30, ja, seit 40 Jahren nicht mehr ihren Geburtsort besucht hatten und schließlich deutsche Freunde von Zeidnern, die von dieser Idee so angetan waren, dass sie mitgemacht haben.

Wer Nachhilfe in puncto Diversity braucht (das Modethema vieler Personalchefs), hier hätte er ein Paradebeispiel bekommen können, wie es funktioniert. Und alle packten sie ordentlich an, egal ob Schüler, Pfarrer, Lehrer, Handwerker, Manager und, und, und…es herrschte eine lockere und doch ernsthafte Stimmung, wissend, dass man die Kirchenburg auf Vordermann bringen will. Für das Wohl der „Truppe“ sorgten die Frauen des Nähkreises, die die Brotzeit (in Siebenbürgen „Jause“, sprich, Speck, roter Zwiebel, Hausbrot) und das Mittagessen vorbereiteten. Und am Abend wurde im Pfarrhof der Grill „angeschmissen“, viele Erinnerungen ausgetauscht, fleißig diskutiert und Fußball-WM geschaut – mehr Aktivität geht nicht. (Weitere Bilder von diesen Arbeitstagen in der Bildergalerie)

Nach zwei Tagen Arbeit folgte dann der Teil, in dem es wie angekündigt um Natur und Kultur ging. Der Altnachbarvater reichte die Organisationsstafette weiter an Reisemanagerin Annette, die einen Bus angemietet hatte, mit dem es an sechs Tagen zu unterschiedlichsten Zielen und interessanten Persönlichkeiten ging. Den Anfang machte die Schweizer Orgelbauerin Barbara Dutli, die in Honigberg eine einzigartige Orgelbauwerkstatt betreibt, und die es trotz aller Hindernisse geschafft hat, eine der wenigen europäischen Ausbildungsstätten für dieses ungewöhnliche Handwerk zu schaffen. Als Zuhörer ist man elektrisiert von ihrem Mut, ihrem Willen etwas Einmaliges zu schaffen – auf den Punkt gebracht: eine großartige Frau.

Man braucht im Zentrum von Honigberg nur über die Straße zu laufen, um sich von der nächsten Person begeistern zu lassen. Dan Ilica-Popescu bezeichnet sich als Burghüter der Honigberger Kirchenburg. Viele Jahre lebte der Banater Rumäne in Deutschland, bevor er sich entschied, mit seiner Frau, einer Honigbergerin, zurückzukehren. Solche Menschen sind ein Segen für die Gemeinschaft im Allgemeinen, für die Kirchenburg im Besonderen. Er kann wunderbar erzählen, aber ein Großteil der Zeit läuft er in Handwerkskleidung herum und repariert und repariert. Sisyphus lässt grüßen. Reiseführerin Annette war wichtig, nicht zum X-ten Mal Sachsenburgen zu besichtigen, sondern auch über den Tellerrand zu schauen. Gleich ein paar Kilometer von Honigberg entfernt liegt das Dorf Ilieni (Illyefalva) mit einem 99prozentigen ungarischen Bevölkerungsanteil und ebenfalls mit einer Kirchenburg und einem ebenfalls sehr engagierten Pfarrer. Hier richtete der heutige Bischof der ungarischen Calvinisten, Bela Kato, schon Anfang der 90er Jahre ein Jugendbegegnungszentrum ein, eine Weiterbildungsstätte und sonstige soziale Einrichtungen, über die seine Gattin berichtete. (Weitere Bilder vom Tag in der Bildergalerie)

Der zweite Tag führte zunächst zur Törzburg, wo der erfahrene Wolkendorfer Ökoreiseveranstalter Hermann Kurmes die Gruppe übernahm. Zunächst führte er durch dieses mittlerweile touristisch stark vermarktete Schloss, ehe es dann in einer leichten Wanderung durch die einzigartige Landschaft hinter dem Königstein zu seiner Pension, der Villa Hermani, ging. Gemeinsam mit seiner Frau Katharina zählen sie zu den Pionieren des Ökotourismus in Rumänien. Er besuchte das Lyzeum in Zeiden, wanderte aus, kehrte als Austauschlehrer zurück und wagte schon vor rund fünfzehn Jahren den Weg in die Selbständigkeit, und hielt nach anfänglichen schwierigen Jahren durch, um heute als erfolgreicher Ökoreiseveranstalter gelten zu können. (Weitere Bilder von diesem Tag in der Bildergalerie)

Der dritte Tag hatte als Ziel das Szeklerland. Besonders erfreut war die Gruppe, dass sie in Miklosvar vom Grafen Tibor Kalnoky persönlich auf seinem Jagdschloss empfangen wurde. Annette hatte ihn im Frühjahr besucht, und es war ihr ein besonderes Anliegen, dass er von seinen Projekten erzählt. Mitglieder seiner Familie regierten im Mittelalter Siebenbürgen und der Urgroßvater war Außenminister vom letzten Kaiser der österreich-ungarischen Monarchie, Franz Josef. Nach der Wende erhielt die Familie Schlösser und Güter zurück und Graf Tibor, der auch die Güter von seinem Verwandten Prinz Charles von England in Rumänien verwaltet, kehrte als einziger zurück und engagiert sich gemeinsam mit seiner Gattin, einer Szeklerin, in einer Menge sozialer und bildungsorientieren Projekten. Darunter auch Roma-Kinder zu schulen, auszubilden und in die Gesellschaft zu integrieren. Der Naturteil dieses Tages bestand in einer Fahrt mit dem Pferdewagen zur Varghis-Klamm und einer Führung durch dieses Naturschutzgebiet und einiger ausgewählter Höhlen, unter anderem einer, in der die Wand schwarz war voller Fledermäuse. (Weitere Bilder von diesem Tag in der Bildergalerie)

Am folgenden Tag ging die Reise zunächst zur nach wie vor im guten Zustand befindlichen Kirchenburg von Hamruden und danach weiter nach Katzendorf zum Dichter, Filmemacher, Kulturförderer und unbequemen Frieder Schuller. Schon zu Ceausescus Zeiten schrieb es kritische Gedichte, Literaturnobelpreisträger Günter Grass half dann, dass er 1977 das Land verlassen konnte, und auch heute setzt er sich kritisch mit seinen sächsischen Landsleuten auseinander, wenn er sagt, dass die „Sommersachsen“ für ein paar Wochen ins Dorf kommen, kein Interesse mehr daran haben, sich zu engagieren und sich abends lieber zurückziehen und „RTL2 schauen“ (also sich mit Billig-TV berieseln lassen).

Seit der Wende hat er sich in das Pfarrhaus eingemietet, wo sein Vater viele Jahre tätig war, hat es renoviert und organisiert immer wieder Kulturveranstaltungen in diesem großzügig gestalteten Anwesen. Höhepunkte dieses Tages waren zwei Lesungen, eine davon in der ausgeräumten und leeren Kirche von Draas, eher das deprimierende Beispiel dafür, wenn es in einem sächsischen Dorf zu Ende geht und die zweite in seiner Scheune, als alle Gäste rund um Schuller saßen und gebannt seinen Gedichten folgten. (Weitere Bilder von diesem Tag in der Bildergalerie)

Der fünfte Tag führte ins Fogarascher Land - zunächst mit dem Besuch der Kerzer Zisterzienser Abtei. Pfarrer Michael Reger konnte ausführlich von der bewegten Geschichte dieses Landstrichs erzählen - vor allem fundiert, sehr lebhaft und mit großem kabarettistischen Talent. Auf dem Programm stand danach Fogarasch mit seiner Burg und einigen Kirchen verschiedener Glaubensrichtungen, um zu zeigen, dass hier schon in frühen Zeiten Toleranz gelebt wurde. Den Schlusspunkt des Tages bildete die schön renovierte Kleinschenker Kirchenburg und ein Besuch bei der Ex-Bankerin Carmen Schuster, die nach vielen Jahren Aufenthalt in Deutschland einen Neuanfang in ihrem Heimatort gewagt hat. Sie ließ das Schulgebäude, das Pfarrhaus und ein Bauernhaus aufwändig und sehr geschmackvoll renovieren und dieses Zentrum ist nun ein attraktiver Treffpunkt für Künstler geworden, und auch Gäste können hier einen schönen Urlaub verbringen. (Weitere Bilder dieses Tages in der Bildergalerie)

Den Schlusspunkt der Reise am sechsten Tag bildete der Besuch des Bärenreservates in der Nähe von Zernen (Zarnesti), wo auf 69 Hektar rund 100 Bären in einer natürlichen Umgebung leben dürfen. Katharina Kurmes, die sich neben ihrem Ökotourismus-Job in diesem Projekt, engagiert, konnte bewegende Geschichten von einigen dieser Bären erzählen, die in ihrem früheren Leben als Zirkusbären oder in Kerkern gehaltenen Haustieren viel zu leiden hatten. Das Mittagessen servierte Pfarrer Uwe Seidner in den Kornkammern der Wolkendorfer Kirche – übrigens auch er ein begnadeter Erzähler – mit anschließendem frischgemachtem Baumstriezel. Und weil man sich so schwer voneinander trennte, lud der Pfarrer Andreas Hartig am späten Nachmittag nochmals ins Pfarrhaus zum gemeinsamen Singen und Abschiednehmen ein. (Weitere Bilder dieses Tages in der Bildergalerie)

Nicht unerwähnt sollen noch zwei Veranstaltungen bleiben, die diese besondere Reise abrundeten. So eröffnete Daniela Boltres am Sonntag, den 8. Juli, nach dem Gottesdienst in den frischaufgeräumten Kornkammern der Kirchenburg eine Ausstellung unter dem Thema „Wer versteht das schon?“, in der es um Flucht und Vertreibung ging. Daniela Boltres arbeitet seit Jahren in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und kam so in Kontakt auch mit Flüchtlingen. In einem Projekt verarbeiteten sie ihre Eindrücke auf literarische Art und Weise. Einige dieser Gedichte hingen nun auf großen Plakaten in den Kornkammern und einige wurden vorgelesen. Daniela gelang es sehr gut, die Verbindung zwischen der Kirchenburg als dem mittelalterlichen Zufluchtsort der Siebenbürger Sachsen und den Flüchtlingen heute herzustellen. Und dann noch in so einer Kornkammer, in der es düster und „unheimlich“ ist, eine Ausstellung zu organisieren – eine sehr mutige Initiative, über die sich auch Pfarrer Andreas Hartig in seiner kurzen Eröffnungsansprache sehr freute.

Sonntagnachmittag fand dann noch eine zweite Veranstaltung statt, wesentlich nüchterner, aber deshalb nicht weniger interessant. Pfarrer Hartig hatte die Gemeinde und auch die Bürger der Stadt zu einer Infoveranstaltung in den Gemeinderaum der Kirchenburg geladen, um über das EU-Projekt zu informieren. Heißt konkret, darüber, dass die EU die Renovierung der Kirchenburg mit rund 700.000 Euro unterstützt. Auf dem Podium saßen die Personen, die mit solchen Vorhaben schon viel Erfahrung gesammelt haben, etwa der Verantwortliche der evangelischen Kirche, Hauptanwalt Gunesch, Architekt Bodor und die Vertreterin der Beratungsfirma, Frau Curcean, die solche Projekte koordiniert. Und alle zeigten sich zuversichtlich und machten den Zeidnern Mut, sich für ihre schöne Kirche einzusetzen.

Und noch ein letzter Satz zu diesem ereignisreichen Sonntag ohne Reiseprogramm. Heike Mai-Lehni hatte den Gottesdienst live ins Netz übertragen, mit dem Ergebnis, dass rund 15.000 Besucher zumindest zeitweise angeklickt hatten und dabei waren – ein Rekord für Sachsen-Verhältnisse, wie die Webmaster von siebenbuerger.de bestätigten, die solche Zugriffszahlen als große Ausnahme erleben. 

Noch ein allerletzter Gedanke zum Schluss: Der Schreiber dieser Zeilen kann nicht objektiv sein, da er bei der Gestaltung dieser Reise und auch bis zur letzten Minute mitgemacht hat. Aber eines lässt sich durchaus sagen: Die Stimmung war über all die Tage sehr positiv, die Teilnehmer, ob Sachs oder echter Deutscher, machten begeistert mit. Überall wurden wir sehr herzlich empfangen, die traditionelle Gastfreundschaft wurde ihrem Ruf gerecht. Überall erwartete uns ein schön gedeckter mit Spezialitäten – egal, ob in der Sommerlaube des Grafen, in der Scheune des Dichters, auf der Terasse der Biopension, im Gasthaus der Bankerin oder in der Kornkammer der Kirchenburg. Und schließlich: Die Initiatoren/Verantwortlichen der Zeidner Nachbarschaft  mit Nachbarvater Rainer Lehni überzeugten durch Kompetenz, Engagement und Herzblut.

Hans Königes