12/28/17

Impressionen einer Japan-Reise mit Ausstellung

Im Schatten der Blüten
an der Tür meiner Hütte -
Beginn der Reise


Haiku* von Sugiyama Sampu 1689

Wenn zwei eine Reise nach Japan machen, ist das zunächst nichts Besonders. Es sei denn, sie kennen sich persönlich erst seit kurzem – obzwar Vetter, Dieter Josef und Horst F. Josef, deren Großväter Zeidner Brüder waren  – und sich auf dem Dinkelsbühler Treffen 2016 erstmals begegneten anlässlich meiner dortigen Bilderausstellung.

Eigentlich waren es die Bilder, die uns zusammenbrachten. Dieter, Sohn von Arnold Josef und gebürtiger Oberösterreicher, war seit seinen Studententagen Weltenbummler in Sachen Kunst und Kulturen und gelernter Druckgraphiker. Seinen „Master of Arts“ machte er 1983-87 an der „Academy of Fine Arts & Music Tokyo“ und entwickelte eine eigene Lithografie-Technik. Seither kann Dieter auf eine langjährige internationale Ausstellungstätigkeit zurückblicken und die Idee, unsere Bilder gemeinsam in Tokyo auszustellen, kam dann auch folgerichtig von ihm.

Da traf es sich gut, dass mein Sohn Ralf 2016 ein Semester an der „Keio-University of Tokyo“ verbrachte. Ihn beauftragten wir, für uns die Ausstellung in Tokyo einzufädeln und zwar mit einem Besuch bei Dieters altem Bekannten Renato A. Pirotta, einem Schweizer Architekten, der bereits seit vier Jahrzehnten in Japan lebt und arbeitet. Und nebenbei seit 25 Jahren Kunstausstellung im OAG-Haus in Tokyo kuratiert. So kam es, dass wir eine Einladung zur Ausrichtung einer Ausstellung in der Zeit vom 19.-25. Juni 2016 im OAG-Haus erhielten.

OAG steht für Deutsche Ostasien-Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG), einem 1873 von deutschen Kaufleuten, Gelehrten und Diplomaten in Tokyo gegründeten Verein. Im gleichen Gebäude (German Cultural Center of Japan) befinden sich außerdem noch das Goethe-Institut, das Fraunhofer-Institut, das ZDF-Büro für Ostasien, ein deutscher Wirtschaftsverband – zum Beispiel das „Bodensee“, ein kleines Kaffee -Restaurant mit deutscher Küche.

Aus eben diesem Umfeld kamen dann auch die meisten Besucher zu unserer obligatorischen EröffnungsVernissage. Ein Taifun-Ausläufer an diesem Tag hatte allerdings einige der Gäste von ihrem Kommen abgehalten, nicht aber den österreichischen Kulturattaché oder die Anlieferung der Freibierfässchen durch die Bayern-Repräsentanz in Japan. Das und ein ausgesuchtes Ost-West-Buffet fanden ebenso Anerkennung wie unsere Bilder - bleibt halt eine alte Frage im Raum, was besser ohne das andere angekommen wäre...

Wenn man die traditionelle japanische Bilderwelt und die meist schrille gegenwärtige etwas kennt, weiß man, dass unsere Bilder dort anders daherkommen. Das konnten wir im Vergleich dann selber bei unseren Besuchen in Museen sowie anderen Kultur- und Kultstätten immer wieder feststellen und nachvollziehen.

Auch wenn ich schon einiges über Japan, seine Menschen, Mentalität und Kultur wußte, war es für mich eine intensive und spannende Erfahrung, vieles erstmalig vor Ort beobachten und erleben zu können.

Nicht alles, denn das zu behaupten wäre vermessen bei einer so vielschichtigen und immer noch introvertierten Kultur als Ergebnis einer sehr speziellen Geschichte einer Gesellschaft, deren Wesenskern für Aussenstehende sehr schwer zu fassen ist und wahrscheinlich auch deswegen eine besondere Faszination ausübt. Es bleibt immer nur ein Blick wie durch ein Schlüsselloch.

Das taoistisch – zen-buddhistisch – shintoistische Erbe ist überall und in jedem enthalten und erkennbar, auch wenn es für die Japaner in ihrer Selbstverständlichkeit nicht mehr von vielen bewußt gelebt wird. Der japanische Weg des Zen ist mystische Erfahrung und tiefe Einsicht und hat die Menschen geprägt wie sonst nirgendwo. Ihn im anstrengenden und rasenden Alltag des 21. Jahrhunderts bewußt zu gehen ist aber für die meisten keine Wahl mehr, die gesellschaftlichen Prioritäten haben sich auch hier gewandelt. Ein Gefühl einer hingenommen, fast zwanghaften Getriebenheit ist überall spürbar, sichtbar.

Werte wie Fleiß, Geduld, Demut, Gelassenheit oder Ergebenheit stecken als genetisches Erbe tief drin und ergeben mit den oft giftigen Zutaten unserer globalisierten Welt eine eigene Alltagsmixtur in einem gealterten Dampfkessel mit neuem Deckel, dem man zunächst nicht ansieht, welche Kräfte in ihm brodeln und diese Menschen antreibt. Nach außen hin erscheint alles bestens organisiert, jeder und alles funktioniert wie am Schnürchen, gerahmt von zum Teil kryptischen Konventionen sowie einem allgegenwärtigen Harmonie- und Sicherheitsbedürfnis.

 

Ja, Schnecke,
besteig den Fuji, aber
langsam, langsam!

Haiku von Issa 1763-1827

 

Eine auch bei uns bekannte Aussage des Buddhismus (gilt anscheinend auch für unsere Schnecke) lautet:

Der Weg ist das Ziel. Ein Ziel ist immer eine Fixierung auf ein imaginäres Ereignis in der Zukunft und die ist bekanntlich unendlich. Und doch legen wir uns darauf gerne fest... einschließlich einem möglichen Scheitern. Im Zen-Buddhismus ist man da schon immer vorsichtiger gewesen: das Ziel ist hier nicht ein, sondern eine Abfolge von Ereignissen – dem Weg eben, den man einschlägt und der einen immer, Schritt für Schritt, weiter bringen soll, das Nächste offen lassend. Ein gelegentliches Scheitern ist dann eben auch nur einer von vielen Schritten, der Weg aber führt weiter. In dieser Logik ist der Weg wichtiger wie das Ziel. Bei uns eher umgekehrt.

Was aber beiden Sichtweisen vorausgeht ist immer ein Ausgangspunkt, räumlich wie zeitlich. Von irgendwo beginnt jeder Weg, irgendwann, als Anfang jeder Reise und Lebensgeschichte. Wege, die sich, wenn die Zeit gekommen ist, treffen und einer den andern fragt: Von wo kommst du? Was ist deine Aufgabe?...

Solche Erlebnisse kennt natürlich jeder von uns. Sie erscheinen umso wundersamer, je weiter sie vom besagten Anfang geschehen. Wenn ich zum.Beispiel in Kyoto in einem Shinto-Schrein von einem 71-jährigen Japaner gefragt werde: Von wo kommst du?

Ich: München (und denke, das ist einfacher wie etwa Zeiden).

Er: Ah, Germany – „...weißt du, ich war viel in eurem Land – kennst du „Weiße Hase“ von der Augsburger „Hasen Bräu“?... Hallo!

Das war der Beginn einer leidenschaftlichen Führung durch diesen Schrein und seiner Götterwelt, wie es so nie planbar ist. Aber ein besonderer Augenblick auf unserer gemeinsamen Wegkreuzung.

Zehn Tage vorher war meine Überraschung fast noch größer, als einer unserer japanischen Gastgeber, einem alten Freund von Dieter, von dem ich zwar wußte, dass er ein vielgereister Mann war, ein Tirol-Narr ist und sich auch als Siebenbürgen-Kenner herausstellte und einige größeren Orte ohne weiteres aufzuzählen wußte. Um dann nur noch perplex zu sein, als uns dessen Freunde bei ihrer Waldhütte mit Schubert-Liedern aus kräftigen Lautsprechern empfingen und sie leise, aber textsicher mitsangen – auf deutsch. Ansonsten:

 

Nichts als Stille.
Tief in den Felsen sich gräbt
(der) Schrei der Zikaden.

Haiku von Bashō 1644-94

 

Wir stießen fortwährend auf eine schwer greifbare Alltagsrealität, bestehend aus zwei eigenen Erscheinungsformen, die sich gegenseitig in Schach halten.Es gibt zwei japanische Wörter, die vielsagend sind: Honne und Tatemae.

Honne ist das unterschwellige, ungeäußerte Gefühls- und Sehnsuchts-Innenleben, nach außen verhüllt durch das sprichwörtliche Lächeln oder einer bewussten Ausdruckslosigkeit, was unsereinen immer wieder ins Rätseln bringt.

Denn was wir zunächst wahrnehmen ist Tatemae, die vorgeführte Fassade, die die gesellschaftlichen Erwartungen ohne Wenn und Aber zu erfüllen hat und Honne kaschiert.

Eine Erscheinung, die man auch in der übrigen Welt antrifft und die mir / uns eigentlich auch nicht ganz fremd ist und uns in unserer alten Heimat oft über die Runden gerettet hat. War es bei uns ein Teil unserer Überlebensstrategie in schwierigem politischem Umfeld, so waren und sind es in Japan die komplexen gesellschaftlichen Konventionen, herausgebildet in jahrhundertelanger Abgeschiedenheit. Bei der hohen Bevölkerungsdichte in enger Insellage ohne Ausweichmöglichkeiten ist Tatemae vielleicht der einzige Weg, unausweichlichen Spannungen frühzeitig genug vorzubeugen.

Zum andern haben sich Japaner schon immer als untergeordneter Teil des großen Ganzen gesehen, dem das ICH und sein freier Wille europäischer Prägung fremd ist. Die Grundmaxime ist, in allen Situationen sein Gesicht zu bewahren. Was für uns vorschnell als eine Zwangshandlung verstanden wird, ist aber schlichtweg eine Tugend, die zu pflegen und einzuhalten ist. Die Gesellschaft erwartet es von Erwachsenen, das schwierige Maskenspiel von Honne und Tatemae perfekt zu beherrschen, alles andere würde die mühsam eingespielte fragile Harmonie-Kultur stören, sei es die der Gesellschaft oder auch nur einer kleinen Gruppe. Konflikte werden gescheut, selbst ein einfaches Nein. Chaos sowieso.

All das vermittelt uns den Eindruck einer in sich geschlossenen Gesellschaft, die wenig hinterfragt, aber doch mit der sich schnell wandelnden Zeit gehen will, gern auch als ihr Taktgeber. Der Tradition verhaftet, aber Neues immer wieder aufgreift, um daraus was Eigenes zu machen um damit groß rauszukommen.

Doch selbst nach 150 Jahren seit dem Verzicht auf die selbstauferlegte Isolation vom Rest der Welt begegnet man in Japan Fremden zunächst immer noch mit vorsichtiger Distanz, aber auch neugieriger Scheu und der  Absicht, sich von der besten Seite zu zeigen. Das führt dazu, zu Fremden freundlich, hilfsbereit, ja schier aufopferungsvoll zu sein, was wir selber auch immer wieder dankbar erfahren durften. Und in Vielem nimmt man Fremde einfach auch nicht ganz ernst beziehungsweise ist nachsichtig mit ihnen, wissend, dass die einen eh nicht verstehen werden, weil nicht können.

 

Paß auf, Heuschreck,
dass du mir nicht den schönen Tau
in Scherben trampelst!

Issa

 

Der Umgang mit Fremden hat viele Gesichter, darunter auch viele häßliche, wie wir es leider heute weltweit vorgeführt bekommen. Der Fremde bleibt lange fremd, um dann vielleicht und nur allmählich akzeptiert oder gar angenommen zu werden. Fremder zu sein kennt jeder von uns... Als solcher unterwegs merkt man schnell, dass man dann um jede Hilfe und Freundlichkeit dankbar ist - und sollte das nicht vergessen, wenn man daheim auf andere Fremde trifft. Denn: Auch wenn man ihnen nicht direkt helfen kann oder will, sollte man es ihnen zumindest nicht noch extra schwer machen. Schon aus Selbstachtung.

Was bisher nach „großer“ Japan-Kritik klingen könnte, wäre ein falscher Eindruck, denn es ist lediglich eine Beschreibung meiner subjektiven Beobachtungen und Überlegungen und ein Versuch, dieses aussergewöhnliche Land und seine Leute mit deren sehr alten und hoch entwickelten Kultur für mich greifbarer zu machen. Wie kann man das alles für sich einordnen? Vielleicht, indem man etwas von der japanischen Einstellung selber annimmt nach dem Motto: Es ist wie es ist. Mach das Beste daraus.

Das macht den Kopf frei und nur ein leeres Gefäß kann mit neuem Inhalt gefüllt werden. Dann kann man recht befreit eine faszinierende Kultur kennenlernen, mit der eigenen abgleichen, überdenken  und sich inspirieren lassen. Denn mein, unser Maßstab, ist auch nur einer von vielen. Mit dieser Einstellung wird jeder Tag und jede Begegnung zu einem eindrücklichen, nachhallenden Ereignis.

Und ob wir selber mit unseren Bildern für die Japaner, die unsere Ausstellung besucht haben, verständlicher waren, ist fraglich und für uns kaum einzuschätzen gewesen. Geäußerte freundliche oder gar anerkennende Reaktionen sind schwer überprüfbar, auch gegebenenfalls berechtigte Kritiken durfte man schon aus Höflichkeitsgründen nicht erwarten - Tatemae sei Dank.

Zurückgekehrt und mit einigen Monaten Abstand darüber zu schreiben ähnelt dem Einfangen eines inneren Echos und der Versuch, dieses einzufrieren wie ein Standbild, um es je nach Bedarf weiter abspielen zu lassen, weil es so schön war. Dabei fühlte ich mich eher wie ein Impressionist an der Staffelei denn als Reisechronist am Schreibtisch.

 

Die Glocke hat den Tag
hinausgeläutet. Der Duft
der Blüten läutet nach.

Bashō

 

*Haiku – das ist die kürzeste aller lyrischen Formen der Weltliteratur, entstanden im 16./17. Jahrhundert in Japan; dreizeilige Gedichte als literarisch höchst konzentrierter Ausdruck des japanischen Zen-Geistes.

Horst F. Josef