Eine Zeidner Veranstaltung – diesmal anders
Gute Inhalte, interessante Vorträge, Blasmusik, Fläiken- Essen – rund 85 Interessierte inklusive der Mitglieder der Blaskapelle samt Anhang trafen sich Ende März zu einem besonderen Zeiden-Wochenende in Bad Kissingen.
„Über Grenzen verbunden – ehemalige und heutige Bewohner von Zeiden in Siebenbürgen“ – lautete das Motto der Tagung, zu der die Zeidner Nachbarschaft in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirchengemeinde Zeiden, der politischen Gemeinde Zeiden sowie der Bildungsstätte „Heiligenhof“ eingeladen hatte.
Schon vor einigen Jahren hatte sich Tagungsstättenleiter Gusti Binder den Kopf darüber zerbrochen, wie er die siebenbürgischen Heimatortsgemeinschaften (HOGs) stärker an sein Haus binden könne. Herausgekommen ist ein Konzept, das vereinfacht ausgedrückt, besagt, die HOGs sollen sich ein Wochenende in Zusammenarbeit mit ihrem alten Heimatort intensiv um eine Bestandsaufnahme ihrer Aktivitäten kümmern und wenn möglich einen Ausblick geben, wie es in Zukunft weitergehen könnte.
Nachdem vor einigen Wochen die Heltauer ein gelungenes Wochenende mit rund 130 Teilnehmern auf die Beine stellten, waren nun im März die Zeidner dran. Und auch wenn die Burzenländer Gemeinde um die 50 Teilnehmer weniger mobilisieren konnte, lässt sich dennoch sagen, dass es noch nie – behauptet zumindest der Schreiber dieser Zeilen –, der seit über 25 Jahren über viele Veranstaltungen berichtet hat – eine so geballte hochklassige Mischung aus guten Referenten und interessanten und abwechslungsreichen Tagungspunkten einer Zeidner Zusammenkunft gegeben hat.
Freitagabend: Zeiden einst und jetzt - in Bildern
Zum ersten Mal besuchte eine starke Vertretung aus Zeiden eine Veranstaltung ihrer Landsleute in Deutschland, heißt: Es waren dabei: Bürgermeister Cătălin Muntean, Pfarrer Andreas Hartig, Organist Klaus Dieter Untch, der Archivar der Kronstädter Honterus-Gemeinde Thomas Sindilariu, Sandra Nicolescu vom deutschen Forum, Erwin Albu als Vertreter des Stadtrates sowie Karmina Vladila und Mihai Catargiu (übrigens das jüngste Presbyteriumsmitglied mit Mitte 20) als Vertreter der Kirchengemeinde.
Der inhaltliche Bogen der Veranstaltung spannte sich von der Gründung Zeidens über die Communitätsprotokolle des 19. Jahrhunderts bis hin zur aktuellen Situation der Kirche, der Vorhaben der politischen Gemeinde und der Lage der Nachbarschaft in Deutschland. Abgerundet wurde das Ganze durch ein Konzert der Zeidner Blaskapelle und einem Abendessen mit einem traditionellen Zeidner „Fläiken“.
Ein Schwert aus der Zeit des deutschen Ordens
Den Anfang machte Freitagabend Altnachbarvater Udo Buhn. Er stellte Zeiden in Bildern vor. In tagelanger akribischer Kleinarbeit hatte er eine Menge Bilder von unserer Heimatstadt zusammengetragen, konnte aufzeigen, wie sich die Stadt, ihre Straßen, ihre Häuser, ihre Menschen im Laufe von Jahrhunderten veränderten. Die Nachbarschaft kann zurecht stolz darauf sein, eines der bestgepflegten Bildarchive aller siebenbürgischen HOGs zu besitzen. Zum Schluss appellierte Udo Buhn an die Teilnehmer, ebenfalls Fotos aber auch Gegenstände aus der Vergangenheit zu sammeln, die sich eventuell als Ausstellungsstücke für das neu entstandene Museum der Traditionen in unserer Heimatstadt eignen.
Den Samstagvortrags-Marathon eröffnete Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, der vielleicht profilierteste aktuelle Experte für die Sachsengeschichte und im „Nebenjob“ „Schlossherr von Gundelsheim“, wie er sich selbst bezeichnet. Er beschäftigte sich mit Zeiden und dem Burzenland im Mittelalter und konnte zum ersten Mal der Öffentlichkeit das Dokument präsentieren, in dem Zeiden 1377 erstmals erwähnt wurde. Dass Zeiden schon davor existiert haben muss, darauf deuteten Funde rund um die Schwarzburg hin. Stolz ist man in Zeiden vor allem darauf, in der Nähe der Schwarzburg ein Schwert gefunden zu haben, das aufgrund von einigen eindeutigen Merkmalen auf die Existenz des deutschen Ordens hinweist. Ansonsten musste der Wissenschaftler zugeben, dass die Quellenlage zur Situation Zeidens und des Burzenlandes im Mittelalter sehr dünn sei, allein zu Zeiden gäbe es weniger als 20 schriftliche Belege. Einer davon habe „welthistorische“ Bedeutung, wie Gündisch ausführte: Vom 9. bis 11. März 1395 weilte nämlich der König Sigismund von Luxemburg in Zeiden.
Mit der Vorstellung der „Communitätsprotokolle von 1800 bis 1866“ machten Reinhold Mieskes als Vorsitzender der Stiftung Zeiden und Thomas Sindilariu, Archivar der Kronstädter Honterus-Gemeinde den Sprung ins 19. Jahrhundert. Die beiden präsentierten den frisch aus der Druckerei mitgebrachten Band über das gesellschaftliche, politische, soziale und wirtschaftliche Leben im Zeiden des 19. Jahrhunderts. Es ist die erste volldigitalisierte Archivarbeit einer Burzenländer Gemeinde. Damit geht eine Herkulesarbeit zu Ende, die 2004 begann und jetzt ihren Abschluss fand. Sindilariu sagte denn auch, dass im Kronstädter Staatsarchiv noch genug Material über Zeiden liege, dass man aber in nächster Zeit keine Chance habe,
darauf zuzugreifen – keine Gelder, kein Personal. Sindilariu dankte der mittlerweile verstorbenen Jutta Adams, die diese Protokolle rettete sowie der Stiftung Zeiden und der Nachbarschaft, die sich dafür ins Zeug legte, dass diese wertvollen Dokumente nun allen zur Verfügung stünden.
Viele private Streitigkeiten in den Protokollen
Als Appetitanreger, um dieses Buch in die Hand zu nehmen, erzählte der Archivar einige Geschichten und Anekdoten, die das Zeidner Leben vor 200 Jahren charakterisierten, etwa der jahrelange Streit der Ochsen- und Pferdebesitzer oder auch einige Familienstreitigkeiten, die öffentlich ausgetragen wurden und alle mit den richtigen Namen dokumentiert sind.
Ebenfalls in die Rubrik Geschichte – diesmal aus dem 20. Jahrhundert – gehörte der Vortrag von Werner Gross, der sich mit dem Thema Aussiedlung auseinandersetzte – am Beispiel seiner Familie. Der Vortrag ist Teil einer umfangreichen Dokumentation, die der Vorsitzende des Zeidner ortsgeschichtlichen Gesprächskreises (ZOG), Helmuth Mieskes, vorbereitet. Er sammelt fleißig Erlebnisberichte, und würde sich freuen, wenn möglichst viele Ausreisende ihre Geschichte aufschreiben und an ihn schicken. Auf der Homepage der Zeidner Nachbarschaft zeiden.de hat er eigens dafür einen Fragebogen entworfen, damit jede/r leichter in das Thema hineinfindet.
Im Sommer ist die Schule saniert.
Nach dem historischen Teil folgte der Sprung in die Gegenwart. Der seit 2012 amtierende Bürgermeister Cătălin Muntean präsentierte das Zeiden von heute. Besonders stolz sei man auf die Fertigstellung des historischen Zentrums inklusive der Einweihung des Museums der Traditionen am Markt. Dank drei Millionen Euro EU-Gelder konnte die Stadtmitte zu einem attraktiven Mittelpunkt werden. Nun müsse noch das Hotel, den Zeidnern besser bekannt als „Schwarzburg“, saniert werden – es wurde an einen Investor verkauft – und die Fassade der deutschen Schule instand gesetzt. Zumindest letzteres hat der Bürgermeister bis zur Zeidner Begegnung Anfang August zugesagt, das Hotel soll dagegen nach Aussagen des Investors nächstes Jahr fertiggestellt werden. Sein grundsätzliches Ziel sei es, die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen. Dafür wurde die Sanierung der Wasserversorgung in Angriff genommen, er will mehr Grünflächen ausweisen, die Straßen reparieren und asphaltieren sowie mehr Firmen nach Zeiden holen. Zur Zeit zahlen 671 Firmen beziehungsweise Selbständige Steuern – vom Friseur und Rechtsanwalt bis zu den großen Arbeitgebern wie Rolem oder Penes Curcanul. Nicht aufgegeben hat er die Hoffnung, dass es mit dem Flughafen in Weidenbach noch was werden könnte – das würde der Region nochmals einen starken wirtschaftlichen Schub geben, ist Muntean überzeugt. Das Geld sei da, allerdings fänden nach wie vor Rechtsstreitigkeiten unter anderem wegen Grundstücksfragen statt.
Einen nachdenklichen und selbstkritischen Vortrag gespickt mit vielen Fragen hielt der aktuelle Zeidner Pfarrer Andreas Hartig. Seit dem Herbst 2009 steht er der sechstgrößten Kirche Siebenbürgens und der drittgrößten im Burzenland als geistliches Oberhaupt vor. Eindrücklich beschrieb er, wie sich die Rolle des Pfarrers im Laufe der letzten Jahre verändert hat. „Wir sind heute in erster Linie Immobilien-Manager, Buchhalter, Verwalter, Rechtsexperten.“ Und erst in zweiter Linie Seelsorger und Pfarrer. Und natürlich habe man all das Nichttheologische im Studium nicht gelernt. Gerne hätte Hartig zum Beispiel einen Verwalter, der sich um die Erhaltung der Kirchenburg, die Pacht-, die Mietverträge oder selbst um so etwas wie die Reparatur der Gehwege auf dem Kirchengelände kümmern könnte. „Ein Pfarrer reicht nicht, um die Gemeindeaktivitäten am Leben zu erhalten“, sagt er ernüchtert. Besonders aufwändig gestalte sich zurzeit das Genehmigungsverfahren, um weitere Gelder zur Renovierung etwa des Kirchturms abrufen zu können. Immer wieder müssten neue „Papiere“ erstellt, Widersprüche eingelegt werden, weil die Verfahren nicht transparent seien und man die Chancen auf Erfolg schlecht einschätzen könne. Die evangelische Kirche in Siebenbürgen befinde sich in einem „schwierigen Transformationsprozess“ und es stellten sich viele Fragen wie etwa solche: Soll die deutsche Sprache Vorrang haben oder der evangelische Glauben? Wer sitzt künftig in der Kirchengemeindevertretung: der Ioan statt dem Hans? An wen sollen die Traditionen weitergegeben werden? Und, und, und…
389 Mitglieder zählt die Kirchengemeinde und man steht vergleichsweise gut da, betonte der Pfarrer. Immerhin finden noch verschiedenste Aktivitäten statt, es gibt noch einen Organisten, einen Chor, eine Tanzgruppe. Immer schwieriger werde es aber, die Menschen im Allgemeinen für Veranstaltungen zu begeistern, erst recht solche zu finden, die sich ehrenamtlich engagieren. Angesichts solcher Entwicklungen müsse man Prioritäten setzen: „Alles können wir nicht mehr machen, wir müssen lernen loszulassen.“
Am Abend gibt es Hochzeitsmusik
In einer ähnlichen Situation – immer weniger Mitglieder, abnehmendes ehrenamtliches Interesse, befindet
sich auch der Nachbarvater der Zeidner in Deutschland Rainer Lehni – in seiner Dramatik und seinen Dimensionen natürlich nicht vergleichbar mit der Lage in der Heimatortsgemeinde. In seinen Ausführungen ging er auf die zahlreichen Aktivitäten der Nachbarschaft ein, die im Moment rund 950 Mitglieder umfasst – angefangen von den Treffen, Begegnungen, Veröffentlichung von Schriften, Unterstützung der Heimatgemeinde, um nur einige zu nennen. Auch er appellierte an die Teilnehmer im Saal, andere Zeidner zu motivieren, in dieser Gemeinschaft mitzumachen: „Das muss jeder tun“ – lautete seine Forderung.
Nicht zu kurz – und das war das Besondere an dieser Veranstaltung – kam der kulturell-musikalische Teil und das ganze „Drum-herum“. Sprich: die Zeidner Blaskapelle, die im Übrigen diesmal ihr Probenwochenende nach Bad Kissingen verlegt hatte, überraschte die Teilnehmer am Samstagabend mit einem flotten Konzert, bei dem es immer wieder „Zugabe“-Rufe gab. Es waren Stücke, die man auf Zeidner Hochzeiten spielte, zum Beispiel, wenn die Hochzeitskolonne durch den Ort marschierte oder die Suppe im Saal ausgeteilt wurde. Den Rahmen bildete das Kapitel „An Siebenbürgens reichen Tischen“ aus dem Roman des Schriftstellers Lothar-Günther Buchheim „Tage und Nächte steigen aus dem Strom“. Der Autor, der mit seinem Roman „Das Boot“ berühmt wurde, beschreibt in seinem ersten Roman seine Reise nach Rumänien und in diesem einen Kapitel eine sächsische Hochzeit in Zeiden – lesenswert und beeindruckend. Effi Kaufmes las dieses Kapitel vor und hatte die Lacher auf ihrer Seite, wenn Buchheim zum Beispiel das opulente Essen auf der Hochzeit beschreibt.
Nicht ganz so opulent, aber einen kulinarischen Höhepunkt bildete das traditionelle „Fläiken“-Essen Samstagabend vor dem Blasmusikkonzert. Nachbarvater Rainer Lehni hatte das Hausbrot organisiert, der Neustädter Nachbarvater Helfried Götz mit seiner Frau Renate das frische Sauerkraut und das Fleisch. Und zum Glück gab es in den Reihen der Zeidner einige Profis, die von ihren Vorfahren die Kunst des „Fläiken“-Schneidens erlernt hatten.
Michael Königes kannte die sächsische Seele
Nochmals zurück zur anderen Kultur: Franz Buhn als Herausgeber des Buches über das Musikleben in Zeiden erläuterte den aktuellen Stand der Arbeiten und hofft, dass der Musikband bis nächstes Jahr beim großen Zeidner Treffen verteilt wird. Organist Klaus Dieter Untch referierte über den Stand der Orgelreparatur. Die kostbare Prause-Orgel ist zwar spielfähig, aber die letzten Feinheiten stehen noch aus. Zu guter Letzt trug Daniela Boltres Gedichte vor, in der sie unter anderem das in ihrer – wie in anderen Familien auch – viel diskutierte Thema „Gehen oder Bleiben“ verarbeitete. Und dann als absolutes i-Tüpfelchen und Höhepunkt der Vortrag von Georg Aescht über den Zeidner Bauerndichter Michael Königes, den der Vortragende als „siebenbürgischen Wilhelm Busch“ bezeichnete, als einen der „brutal, derb, grobschlächtig… immer mit dem Vorschlaghammer unterwegs war“, der politisch aneckte, aber auch ein „feines Gemüt“ hatte. Und es gibt wohl keinen Vortragenden, der seine Gedichte rhetorisch so großartig im Zeidner Dialekt vortragen kann – für jeden (Zeidner sowieso) ein Erlebnis der Extraklasse.
Der Bürgermeister ist Mitglied der Nachbarschaft
Nie zuvor gab es ein so abwechslungsreiches Programm und eine so bunte Mischung bestehend aus Vorträgen, Diskussionen, Musik und Unterhaltung rund um Zeiden und die Zeidner. Und wohl noch nie haben sich Vertreter der Kirche, der Politik und der Nachbarschaft so intensiv ausgetauscht und damit die solide Grundlage für eine weitere gute Zusammenarbeit geschaffen. Erstes praktisches Zeichen dieser Zusammenarbeit: der Bürgermeister ist Mitglied der Nachbarschaft geworden.
Zu verdanken haben die Teilnehmer diese Veranstaltung vor allem Rainer Lehni und Gusti Binder, die trotz
anfänglicher Skepsis sich nicht haben beirren lassen. Auch all den stillen und fleißigen Helfern im Hintergrund, die so ein Ereignis erst möglich machen, sei hiermit gedankt.
Und das letzte Dankeschön geht an das BMI, das die Veranstaltung finanziell unterstützte.
Hans Königes