08/21/17

Ein paar Tage in Zeiden und Umgebung

Aufenthalte in Rumänien, seinen Landschaften wie Siebenbürgen und Orten wie Zeiden hinterlassen stets eine solche Dichte an Eindrücken, einem übervollen, überlaufenden Gefäß gleich. Wenn in den folgenden Zeilen einiges in Worte gefasst werden soll, so sind dabei die Befangenheit des Augenblicks und die Verortung der Impressionen in der Zeit zu berücksichtigen.

Ziel des Besuchs in Zeiden waren unter anderem ein Gang auf den Zeidner Berg und zur Schwarzburg sowie das Sammeln von Eindrücken des „Sachsenweges“, sozusagen die Begegnung mit alten Erinnerungen und Erfahrungen. Durch die Wetterlage kann allerdings nur das erste Ziel, der Berg, erwandert werden, was trotzdem sehr erkenntnisreich ist. Wie würde ich die vielen Serpentinen erleben, die mich als Kind „gequält“ haben? Eine „Traumabewältigung“ ist dann nur zum Teil möglich. Erstens erweist sich der ganze, immer noch sehr steile Weg viel kürzer, als er als Kind in Erinnerung geblieben ist, und zweitens können wir nicht durchgehend auf den Serpentinen bleiben, weil der Pfad stark zugewachsen ist. Stattdessen müssen wir ausgetretene Abkürzungen nehmen, wodurch das Ganze dann doch wieder anstrengend wird. Auf der Spitze des Berges bieten die mittlerweile recht hohen Bäume immer weniger Sicht nach Holbach sowie auf den Königstein und die fernen Fogarascher.

Dies ist allerdings wegen des heranrollenden Gewitters, das uns den Weg über die Schwarzburg verwehrt, ohnehin nicht möglich. Eine sehr schöne Sicht gewährt das Breitenbach-Tal mit Blick auf den Königstein, ein weiteres Ziel für einen der nächsten Tage. Nach überstandenem Regen durch den Wald holen wir unser auf dem Berg geplantes Picknick dann auf dem im oberen Bereich zerwühlten Bergelchen nach, von dem die Sicht noch immer grandios ist (Perschaner Berge, Lempesch, Krähenstein, Renze, Hohenstein, Zinne und Schuler umrahmen die Burzenebene). Befremdlich und als Eingriff in die natürliche Umgebung erscheinen die nun seit einigen Jahren im oberen Randbereich des Bergelchens stehenden Wohnhäuser. Auch weiter im Süden kriechen die Häuser die Hänge Richtung Berg hoch.

Ein Ergebnis der Ausbreitung der Siedlung ist die deutliche Zunahme des Autoverkehrs. In der früher ruhigen Marktgasse fahren heute beispielsweise regelmäßig Autos hoch und runter. Auch parken sie zu beiden Seiten der mit Blumenbeeten schön gesäumten Straße. Das erhöhte Verkehrsaufkommen macht sich auf der Hauptstraße ganz besonders bemerkbar. Nicht nur durch die Zebrastreifen und Kreisverkehre kennt auch Zeiden das Phänomen des Staus. Verkehrskonzepte wie  eine Stadtumfahrung werden daher immer unumgänglicher.

In der Stadt ist einiges in Bewegung, wie man vom Bergelchen, aber auch von der am Hang stehenden orthodoxen Kirche „Himmelfahrt des Herrn“ (Înălţarea Domnului) sehen kann. Häuser werden renoviert, Dächer neu gedeckt. Doch wartet eine ganze Reihe auch historischer Gebäude noch auf Instandhaltungsmaßnahmen. Wenn der Kirchturm der evangelisch-lutherischen Kirche und das Kirchengebäude erneuerungsbedürftig wirken, so mögen einem die Worte aus dem Siebenbürgen-Band des „Kronprinzenwerkes“ („Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“) aus dem Jahr 1902 in den Sinn kommen. Dort heißt es unter anderem, dass sich in Zeiden „die alte, etwas verfallene Kirche“ befinde. Als wenig vertrauenerweckend erscheinen zudem bei einem Blick in die Kornkammern der Kirchenburg die dort verlaufenden Stützbalken.

Auch demographisch sind in Zeiden große Veränderungen in Gang. Der weiter schrumpfenden siebenbürgisch-sächsischen und ebenfalls zurückgehenden rumänischen Bevölkerung steht ein Anstieg der Roma-Bevölkerung gegenüber. Dies kann am sich ausdehnenden Viertel Mălin, im Süden der Stadt Richtung Wolkendorf gelegen, beobachtet werden.

Markante Neuerungen hat das Stadtzentrum zu verzeichnen. In neuem Glanz erstrahlt die „Alte Mädchenschule“, die bis 2015 noch als Ruine dastand. Dass sich darin nun keine Kultureinrichtung der „klassischen“ Art mehr befindet, sondern ein kleiner „Konsumtempel“ (eine Filiale der Lebensmittelkette „Profi“), ist allerdings ein Merkmal unserer Zeit. Ebenfalls außen und innen modernisiert ist das Kulturhaus, während sich das Gasthaus Schwarzburg noch in Renovierung befindet. Die alte deutsche Schule hingegen ist zur Hälfte fertiggestellt. Während die Straßenfront mit dem neuen Verputz und den beiden Statuen in den Nischen (Melanchthon und Luther) ein strahlendes Gesicht erhalten hat, warten die Seiten und die rückwärtige Fassade noch auf die Erneuerung.

Eine Besonderheit ist das alte Rathaus. Das Gebäude hat nicht nur sein Aussehen außen und innen verändert. Es hat auch eine neue Funktion als „Museum der Zeidner Traditionen und öffentlichen Lokalverwaltung“ erhalten. Der Anfang – die Einrichtung ist 2016 eröffnet und 2017 um weitere Räumlichkeiten erweitert worden – ist sehr wichtig und vielversprechend. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Enthusiasmus und Elan an die Arbeit gehen, stimmt optimistisch. Die Exponate sind auf verschiedene thematische Räume aufgeteilt. Neben der „Ausstellung der Schenkungen“ im Kellergewölbe finden sich im ersten Stock Bereiche mit den „Kostbarkeiten Zeidens“ sowie den Gemälden von Aurel Bordenache. Stolz und Freude klingt aus den Erläuterungen der Museumsmitarbeiter über die Gestaltung des Raumes zum Flugpionier Albert Ziegler. Vieles ist gut angelegt und konzipiert. Ergänzende Hintergrundinformationen zu den einzelnen Ausstellungsstücken, seien dies Gegenstände oder Bilder, werden sicherlich noch folgen. Entwicklungspotenzial besitzt auch die Idee, den verschiedenen Ethnien der Stadt eine „Wohnsstube“ zu gewähren. Die Räumlichkeiten mit den Exponaten des sächsischen und rumänischen Zimmers, die noch näher zu kennzeichnen sind, stehen bereits. In Vorbereitung begriffen ist noch ein ungarischer Raum. Die Gestaltung eines Zimmers der Roma-Bevölkerungen steht noch aus. Gerade mit Blick auf das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien, das ja vor allem auf die Zukunft hin gedacht werden muss, darf diese Gruppe nicht fehlen.

Besonders einladend ist der Zugang zum Inneren der Kirchenburg gestaltet, die den Besuchern tagsüber offen steht. Kornkammern und das historisch wertvolle Kirchengebäude sind geradezu eine Fortsetzung des musealen Bereichs. Im Ausstellungsraum der Eduard Morres-Stiftung neben dem Gemeinschaftsraum finden sich besonders sehenswerte Gemälde des Zeidner Malers.

An heißen Tagen, wie sie dieser Sommer in ganz Rumänien bietet, ist das kühle Nass eine rettende Alternative. Doch zeigt sich das Waldbad leider nicht zum ersten Mal von keiner gastfreundlichen und schönen Seite. Obwohl es laut Plan hätte offen sein müssen, ist das nicht der Fall. Der zweite der Badeseen bietet uns ein Bild, das sich in den letzten Jahren eingeprägt hat. Er liegt still und verträumt da, und trotz der Hitze ist keine Menschenseele zu sehen; im Vergleich zu den Kindheitstagen, als im Sommer hier immer etwas los war, ein ungewöhnliches Bild. Getrübt wird der Eindruck vom vielen Unrat und den unzähligen offenen Feuerstellen. Vordergründig mag man zwar ein fehlendes Umweltbewusstsein der Nutzer bemängeln. Doch wesentlicher ist das in diesem Fall nicht erkennbare Verantwortungsbewusstsein der Behörden und der Verwaltung, die keinerlei Tätigkeit oder Präsenz zeigen.

Auf der Fahrt nach oder aus Kronstadt bleibt der Blick immer wieder an der Leere hängen, die das „gläserne Meer“, die vielen Glashäuser bis zum Beginn des neuen Jahrtausends, verdrängt hat. Die Bezeichnung „Blumenstadt“ ist wie eine traurige Erinnerung geblieben. Der neue, durchaus sehr praktische vom Zeidner Bürgermeisteramt 2016 herausgegebene Stadtplan stellt diese Besonderheit heraus. Dort heißt es in englischer Übersetzung: „Located at about 15 km from Brasov, on the E68 road between Brasov and Sibiu, also known as ‚The City of Flowers‘, because of the flowers that were cultivated here (especially carnations)“. Die einzigen Glashäuser, die zurzeit in Zeiden noch stehen, befinden sich an ganz anderer Stelle, nämlich dort, wo die ersten Anlagen dieser Art im 19. Jahrhundert gebaut wurden.

Ob die unter dem Namen „die Gärten von Zeiden“ („Grădinile Codlei“) firmierende neue Anlage, die an der Straße nach Wolkendorf auf der rechten Seite entstanden ist, einen Neuanfang für den Gartenbau in Zeiden bedeutet, muss sich noch erweisen. Die verschwundenen „Sere Codlea“ sind jedoch keine Ausnahme. Auch andere große Betriebe der Stadt gibt es nicht mehr, beginnend mit der Chemiefabrik „Colorom“, der Möbelfabrik „Măgura“ oder dem Maschinenbauunternehmen „I.M.C.“. Dennoch soll es durch die Ansiedlung neuer Unternehmen nach Informationen in Zeiden einen Mangel an Arbeitskräften geben.

Zeiden ist in Bewegung und die Menschen müssen sich stets neuen Aufgaben stellen. Was bleibt, ist die unnachahmliche Form des Berges, je nach Himmelsrichtung mal Hirtenmütze, mal langgestreckter oder auch alleinstehender Rücken. Rumänien, Siebenbürgen und Zeiden sind und bleiben mit allen schönen und unschönen Seiten, den kritischen und unkritischen Beobachtungen reiche Heimat und Sehnsuchtsorte, die aufwühlen und beschäftigen, zur Anteilnahme herausfordern und trotz der Entfernung und der Kosten die Immerwiederkehr zur Normalität werden lassen.

Hans-Christian Maner