05/15/16

Klassentreffen 2016, Jahrgang 1964/1965

Wenn heute der Bayrische Rundfunk bei mir vorbei käme, um mich zu fragen, was denn mein persönliches Highlight der letzten Woche war, so könnte ich ohne zu zögern sagen, dass dieses unser langherbeigesehntes Klassentreffen vom 16. auf den 17.04. war - ganz ehrlich.

Kurz vor meiner Abreise rief mich noch meine Mutter an, um mich inständig zu bitten, dass ich mir doch bitte etwas Ordentliches anziehen solle, weil dieses alle Zeidner so machen würden. „Danke, liebe Mama. Ohne diesen wichtigen Hinweis hätte ich garantiert vergessen, meine Jogginghose und die Hausschlappen auszuziehen und mich zu rasieren. Ich wäre sicher wie ein Penner zu diesem wichtigen Termin angerauscht gekommen. Mit Deiner mütterlichen Führsorge hast Du wieder einmal dafür gesorgt, dass sich Dein inzwischen über 50-jähriger Sohn bei den äußerst kritischen Zeidnern nicht bis auf die Knochen blamiert hat.“

Da ich die meisten Kollegen seit 1978 – also immerhin seit 36 Jahren - nicht mehr gesehen habe, hatte ich vor zwei Sachen echt Schiss:

  • Dass man mich nicht mehr kennt - was ich ja noch irgendwie verstehen und ertragen hätte können,

aber noch fürchterlicher:

  • Dass ich selber die Leute nicht mehr erkenne. Dieses wäre mir dann doch ziemlich peinlich gewesen und ich hätte mich sehr schämen müssen -  eine Gemütsbewegung, welche sicher nicht zu meinen Lieblingsemotionen gehört.


Gegen die erste Befürchtung konnte ich ja nun nichts mehr tun, aber der zweite Punkt, den hatte ich selber in der Hand. Also suchte ich nach Bildmaterial, welches ich vor einiger Zeit mal bei Gert Liess heruntergeladen habe. Und voila, ich wurde fündig.

Am besten geeignet, meinem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen, erschien mir ein Foto von einer Faschingsfeier in der vierten Klasse. Das war 1975, also „gefühlt“ relativ kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Ich nahm dieses Foto, zoomte ganz tief hinein und fing an zu grübeln: „So, wer ist das da denn jetzt noch mal? Der, in dem etwas billig wirkenden Piratenkostümprovisorium? Sieht mir irgendwie vertraut aus. Oha, dass bin ich ja selber. Sah ich denn wirklich so bescheuert aus? Und schlimmer noch, hat sich zu heute überhaupt etwas geändert?“

So kämpfte ich mich dann Person um Person durch und hatte am Ende tatsächlich alle Namen zusammen und sogar die Familennamen fielen mir wieder ein. Bingo, 100 Punkte. Danke, Gert – you’ve saved my life, mit Deiner Fotosammlung. Mir konnte also nichts mehr passieren – so dachte ich zumindest.

Als ich später jedoch vor dem einen oder anderen Klassenkollegen stand, kam ich dann doch unerwartet ins Schwitzen. Die Namen und Gesichter des Kinderfaschingsfotos rappelten wild durch meinen Kopf. Der Dachstübchenprozessor machte andauernd Abgleiche zu diesem Foto und suchte nach Übereinstimmungen. Hier waren es dann leider keine 100 Punkte mehr, da der vorhandene Datensatz wohl irgendwie doch etwas veraltet war. Nicht jedoch die wiedergetroffenen lieben Klassenkammeraden. Diese schienen frisch, jung und knusprig geblieben zu sein und sie waren auch alle nett und halfen mir über mein Versagen bei der Personenidentifikation hinweg. Also alles wieder gut und der Blutdruck sank zurück auf Normalniveau.

Tja, und wie lief es denn nun ab, das Wiedersehen?

Wir trafen uns alle ab 14:00h bei Sekt und Baumstriezel im Gasthof Hachelstuhl. Dieses Wochenenddomizil, neben Landshut, hatte der Edi Binder für uns ausgesucht und er hat damit eine gute Wahl getroffen. Die Anreise war wettertechnisch zwar ziemlich nass, aber zum Glück haben unsere Navis ja auch bei Regen funktioniert.

Mit Anhang waren wir aus beiden Klassen so um die sechzig Leute. Alle hatten wir uns sofort unglaublich viel zu erzählen und so fiel es unseren Organisatoren Franziska Neudörfer und Theo Thut schwer, uns hinaus zum Klassenfoto zu bewegen. Das gleiche Spiel dann wieder anderes herum, als wir alle zurück in unser bewirtetes Klassenzimmer sollten. Da einer der Kollege sich nämlich dafür entschied, eine eigene Bewirtung aus dem Kofferraum seines Autos anzubieten und zwar in Form einer Schnapsprobe von Selbstgebranntem, fiel es manchem schwer, wieder in die „trockene Luft“ unseres Pseudoklassenzimmers zurückzukehren. Die Klassenstunde stand nämlich an.

Da unsere beiden Klassenlehrerinnen, Rita Siegmund und Monika Niesner, leider nicht dabei sein konnten, wechselten Franziska und Theo ihre Rolle und nahmen deren Position ein. So wurden wir, nach dem Vorlesen der lieben Briefe unserer ehemaligen Lehrerinnen, alle streng nach dem Katalog aufgerufen, „Rapport zu geben“. Selbstverständlich kamen wir alle gerne dieser Bitte nach.

Es war natürlich äußerst interessant zu erfahren, wie es dem einen oder andern in den letzten Jahren denn so ergangen ist. Die schönen, aber auch die traurigen Dinge und damit auch die Lebensschläge, von denen ja leider keiner von uns verschont bleibt. Jeder hat sich sein eigenes, individuelles Leben aufgebaut und ist doch tatsächlich zu einem braven Bürger herangereift, auch wenn mancher dieses in der Sturm- und Drangzeit seiner Jugend noch kategorisch ausschloss -  wer wollte damals nämlich schon brav sein.

Dann rief Theo mich auf, jedoch leider unter falschem Namen. „Na warte“, dachte ich mir. „Dafür wirst du bluten müssen.“ Das tat Theo dann auch am späten Abend und zwar in Form eines Südtiroler Rotweines, welchen er mir einsichtig spendierte – „Danke, Theo. Der Wein war sehr gut und die dabei geführten Gespräche, sogar noch besser.“

Die dann folgende Zeitspanne zwischen Kaffee und Abendessen verging, zumindest für mich, wie im Flug. Fast wie beim Speeddating versuchte jeder mit jedem so viel wie möglich an Informationen und Erinnerungen auszutauschen. Ich selber hatte manche mir erzählte Begebenheit schon lange vergessen und so war ich überrascht, von dem einen oder anderen zu erfahren, was für ein schlimmer Finger ich doch manchmal gewesen sein soll. Nun ja, diese alten Fauxpas erzähle ich dann mal lieber nicht meinen Kindern, da ich keine Lust darauf habe, meine Vorbildfunktion zu beschädigen und mir damit unweigerlich auch meine, zumindest rudimentär vorhandene, Autorität zu untergraben.

Und dann war es soweit. Abendessen und Dessert waren immer noch auf dem Weg zu den Verdauungsorganen, da wurde schon Partyalarm ausgerufen. Eine weitere Warnung erfolgte nicht mehr und unser DJ Lorant Aescht schmiss den Dezibelgenerator erbarmungslos an. An eine sinnvolle Unterhaltung mit dem Tischnachbarn war jetzt kaum noch zu denken, da man außer dessen Lippenbewegungen und undefinierbaren Handzeichen, akustisch sowieso nichts mehr wahrnehmen konnte. Also füllte sich die Tanzfläche zusehends und alle zappelten los.

In einem Nebenraum des Gasthofes fand noch eine Geburtstagsfeier statt. Deren Besucher gaben jedoch kurz nach unserem Partystart auf und gingen nach Hause, da selbst in diesem Raum eine weitere Kommunikation anscheinend zwecklos war. Mit etwas schlechtem Gewissen lud ich eine der Geburtstagsbesucherinnen zum Tanz bei uns ein. Sie fragte, aus welchem Ort unsere beiden Klassen den seien. Ich ließ sie raten und sie sagte: „Ihr kommt’s doch sicher alle aus Bad Tölz, richtig?“  „Fast richtig,“ entgegnete ich ihr. "So wild wie die Tölzer sind wir allemal, aber jetzt zählen Sie noch etwa 1.300 km in Richtung Osten dazu und wir hätten eine Punktlandung erreicht.“ Sie staunte und wollte Details. „Siebenbürgen“ rief ich ihr zu – keine Reaktion. „Transsilvanien“ – immer noch ein fragender Blick. Na gut, dachte ich, dann halt die Variante mit der Komplettauflösung: „Rumänien – wir sind Siebenbürger Sachsen.“ Auch jetzt blieb sie noch regungslos und ihr fragender Blick schien noch eindrücklicher zu werden. An diesem Punkt erachtete ich es für sinnvoll, dieses ergebnisoffene Gespräch lieber zu beenden und wünschte ihr einen schönen Abend. Wegen ihren miserablen geographisch-ethnologischen Kenntnissen, hatte ich sowieso keine Lust mehr mit ihr zu tanzen.

Um ein Uhr Nachts musste DJ Lorant die Musik leider abstellen. Die anderen Hotelgäste bestanden nämlich darauf, schlafen zu wollen. Dieses konnten wir irgendwie nicht so ganz verstehen, da die Stimmung doch so toll war. Und gerne hätten sie sich ja zu uns gesellen dürfen, von mir aus auch im Pyjama. Aber anscheinend wollten sie nicht, also kamen wir, als einfühlsame Mitgäste, dieser Bitte nach und bereiteten uns selber darauf vor, zu Bett zu gehen. Ganze zwei Stunden hat dieses bei einigen von uns noch gedauert, bis sie endlich auf dem Zimmer waren. Und da es ab acht Uhr morgens schon wieder Frühstück gab, waren die verbleibenden fünf Stunden Schlaf für viele von uns dann doch nicht so ganz ausreichend.

Am nächsten Morgen hatte ich eine etwas tiefere und kratzigere Stimme, als sonst. „Bist du krank, heiser oder hast du nur zu viel getrunken?“ wurde ich gefragt. „Nein, nein, das kommt von dem sich gegenseitigen Anschreien, wegen der lauten Musik und so, oder es ist einfach nur die Strafe für mein dummes Geschwätz von gestern Abend, auch wenn ich dabei nicht mal besoffen war.“ „Stimmt“, entgegnete mein Gesprächspartner. „Du kannst auch nüchtern genug Blödsinn von dir geben“. – „Na, Danke“, dachte ich mir im Stillen und kaute nachdenklich meine Frühstücksemmel zu Ende.

Die Hotelzimmer wurden bezahlt, die letzten Whatsapp-Kontakte ausgetauscht und die große Abschiedszeremonie startete. Alle schienen irgendwie traurig, wieder auseinander gehen zu müssen. Aber wir haben es uns ganz fest vorgenommen, dass wir in spätestens fünf Jahren erneut zusammenkommen, um dann bei einer noch rauschenderen Party wieder gemeinsam "die Sau rauszulassen". Franziska, Theo und Edi werden sicher bereit sein, die Organisation ein weiteres mal zu übernehmen. Und falls sie Hilfe benötigen, steht garantiert der eine oder andere von uns bereit, um zu unterstützen.

Ein großes Dankeschön an Euch drei, dass Ihr es auch diesmal so gut hingekriegt habt.

Es grüßt Euch alle herzlich, Euer Frieder Stolz

Meine vorhin erwähnte veraltete Datenbasis für die Personenidentifikation