01/18/15

70 Jahre Deportation

Aus den Aufzeichnungen von Hedwig Voinea, geborene Martonyi (Teil 1)
 

Am 13. Januar 1945 wurde ich ausgehoben und deportiert. Dieser Tag gehört zu den schrecklichsten meines Lebens. Herr Ilea von der Finanzabteilung des Rathauses kam am 12. Januar abends, als es schon dunkel  war, und sagte uns unter dem Gebot strengster Verschwiegenheit, dass am nächsten Tag die Aushebung der Sachsen durchgeführt werden sollte. Meine Mutter und ich seien auch auf der Liste.

Die ganze Nacht packten wir die Koffer mit allem, was wir für richtig hielten. Sechs Uhr morgens hörten wir wie in die Nachbartore geschlagen und russisch und rumänisch gerufen wurde. Es wurde uns klar, dass eine Leidenszeit beginnen würde. Niemand konnte voraussagen beziehungsweise vorausahnen, wie lange sie dauern würde.

Auch in unser Tor wurde geschlagen. Meine liebe, gute Großmutter sperrte das Tor auf und zwei Männer mit dem Gewehr auf dem Rücken traten in den Hof -  ein rumänischer Soldat und ein russischer.  Wir wurden von diesen beiden Männern „eskortiert“ bis zur evangelischen Schule. Im Turnsaal wurden wir den Russen übergeben, die anhand von Listen prüften, ob wir darauf zu finden waren. Ja, sowohl ich als auch meine Mutter wurden gefunden. Wegen fortgeschrittenen Alters wurde meine Mutter jedoch freigelassen. In der Turnhalle standen alle Sachsen, waren fassungslos und verzweifelt. Die Mütter, die sich von ihren Kindern trennen mussten, weinten bittere Tränen. Es war ein ganz herzzerreißender Anblick. Man sah die Ungewissheit, die Angst. Man musste sich dem lauten Geschrei der Russen unterordnen und sich garstige Bemerkungen gefallen lassen. Wir waren Gefangene und wurden auch so behandelt. Meine Nachbarin Elfriede Dück war auch im Saal, und wir gaben uns als Schwestern aus. Ein ganzes Jahr bis zu meiner Rückkehr waren wir Schwestern.

Wir wurden in LKWs gepfercht und in Kronstadt auf einem abgelegenen Bahnhof in Viehwaggons verladen. In den Waggons befanden  sich links und rechts je zwei Holzpritschen, in der Mitte stand ein gusseiserner Ofen, daneben ein paar Scheit Holz. Unter diesen Bedingungen sollten wir bei eisiger Kälte zum „Schwarzen Gold“ gebracht werden. Es war zum Heulen, ein jämmerlicher Zustand. Wir fuhren los. Einige Männer hatten Äxte bei sich. Das war ein guter Gedanke. Sie schlugen mit den Äxten ein Loch in den Boden, damit wir unsere Notdurft verrichten konnten. Wir wurden nur jeden zweiten Tag hinausgelassen, und dann stand dort eine ganze Armee von russischem Militär, jeder Soldat mit einem Maschinengewehr auf uns gerichtet. Sogar auf die Waggons waren sie geklettert. Es war furchtbar peinlich, die Not zu verrichten mit den Russen im Nacken. Doch wir hatten keine Wahl und mussten diese Schmach über uns ergehen lassen. Es war so furchtbar, dass ich es mit Worten nicht beschreiben kann.  Jeden Abend zählte uns ein NKWD-ist mit strenger Mine. Wehe, jemand hätte sich getraut etwas zu fragen.

Die Fahrt dauerte lange, es ging sehr langsam voran. Wir hielten oft stundenlang auf freier Strecke. In unserem Waggon waren 42 Menschen. Wir schliefen abwechselnd. Zwischendurch setzten wir uns im Wechsel auf die Pritsche ans Fenster, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Es war immer eine stickige und dicke Luft in den kleinen, restlos überfüllten Waggons.

Nach etwa sechs Tagen hieß es überraschend, wir sollen packen und den Zug zu verlassen. Wieder von Maschinengewehren umzingelt, durften wir austreten und wurden in einen breitspurigen Zug übersiedelt. Das war in der Nähe von Jassy (Iași). In diesem Zug mussten wir nochmal acht Tage aushalten unter denselben Bedingungen wie bisher, also Holzpritschen, Ofen mit ein paar Scheit Holz, und auch ein Loch wurde wieder in den Boden geschlagen. Wir waren alle  verzweifelt, mutlos und auch hungrig, denn bei einigen hatte die Wegzehrung nur kurz gereicht. Wir waren schmutzig, da wir keine Möglichkeit hatten, uns zu waschen, wir hatten Durst, wir brauchten frische Luft. Wir brauchten Freiheit.

Am 27. Januar war es dann soweit, wir landeten im Donbass, im Kohlengebiet. Als wir – selbstverständlich wieder streng bewacht – die Waggons verließen, sahen wir auf einer naheliegenden Anhöhe, ähnlich wie die Steilau oder das Bergelchen, viele Baracken. Diese sollten für mehrere Jahre unser Zuhause sein.