Illusion und Provokation in Ton
Üblacker-Häusl in München präsentiert Keramiken von Otto Scherer
Die Keramiken von Otto Scherer lassen das fragile Material vergessen, aus dem sie gefertigt sind: Metallisch spiegelnde Figuren suggerieren polierten Edelstahl, tiefrot glänzende Flächen lassen an Glas denken, und manche Skulpturen erinnern an Holz oder Stein. Das Üblacker-Häusl in München (Preysingstraße 58) zeigt vom 16. Dezember bis 17. Januar 2010 Arbeiten des 1955 in Martinsdorf geborenen, seit seiner Kindheit in Zeiden lebenden und seit 1991 im Raum Landsberg am Lech freischaffend tätigen Künstlers. Die Eröffnung der Ausstellung (Kustos: Dr. Ingo Glass) findet am 15. Dezember um 19 Uhr statt.
Man möchte die Arbeiten mit den Händen berühren, um in wortwörtlichem Sinne zu begreifen, dass es sich um Keramiken aus gebranntem Ton handelt. Bei aller Fragilität des Materials wagt sich der Künstler mit seinen Reliefbildern und Plastiken an die Grenzen der Keramikkunst. Dieser Balanceakt wird ihm aufgrund seiner fundierten Ausbildung an der Kunstschule in Kronstadt möglich. Hier studierte er nicht nur Keramik, sondern auch Malerei und Grafik. Die Gegend um Kronstadt in Siebenbürgen blickt auf eine Jahrhunderte alte Keramiktradition zurück. Aus Mangel an Materialien hatte der Keramikunterricht Ende der 70er Jahre jedoch einen experimentellen Charakter, von dem Scherers heutiges Schaffen profitiert.
Seit über 20 Jahren lebt Otto Scherer nun in Deutschland und hat sich als Keramiker einen Namen gemacht. Dass er dabei zweigleisig fährt, kommt seiner Kreativität und dem künstlerischen Arbeiten zugute. Einerseits baut er Keramiköfen, die als Raumskulpturen oder Wandreliefs Räume nicht nur gestalten, sondern auch wärmen. Andererseits entwickelt er, ausgehend vom Formenrepertoire der Öfen, Reliefs und Skulpturen, die als selbständige Kunstwerke mit dem Betrachter in Dialog treten. Aus großen Modulen entstehen wandfüllende Reliefbilder mit akkurat glänzenden Oberflächen in Selen-Rot oder Platinglasur, in denen sich der Betrachter tausendfach widerzuspiegeln vermag. Je nach Spiegelbild erschaffen die geometrischen Reliefstrukturen immer neue abstrakte Kompositionen. Aufgrund ihrer technischen Perfektion lassen die verspiegelten Flächen und Facetten die Skulpturen zu einem sinnlichen Erlebnis werden.
Otto Scherer arbeitet mit Gießtonen, die sich wie eine Haut an die glatten Innenflächen der Gipsformen anschmiegen. Die Negativformen sind vielfach verwendbar und erlauben eine serielle Herstellung, dennoch lässt sich jede Ausformung individuell bearbeiten. Um Formstücke von Modellen zu Kachelöfen handelt es sich auch bei den Figuren, wie den „Drei Grazien“, deren Oberflächen unterschiedlich glasiert und mit artfremden Materialien kombiniert werden. Rote Silikonstacheln oder mit Platin glasierte Keramikdornen umgeben schützend die abstrakten Tonfiguren. Die inhaltliche und gestalterische Ambivalenz der Keramiken zeigt sich noch deutlicher in der Werkreihe der Schilder: Hier spielt der Künstler mit dem fragilen Material, indem er es zur ästhetischen Rüstung umgestaltet. Der zerbrechliche Scherben wappnet sich mit Sporen und spitzen Dornen und nimmt dabei martialische Züge an. Zugleich brechen die Arbeiten provozierend mit der keramischen Tradition und weisen dem Material optisch und technisch neue Wege. In dieser Hinsicht sind die Keramiken von Otto Scherer einzigartig.
Dr. Gudrun Szczepanek
Quelle: Siebenbürgische Zeitung vom 15. November 2009