Behinderte nicht sich selbst überlassen
Das Tageszentrum der Raphael-Stiftung in Zeiden
Die Einwohnerzahl von Zeiden/Codlea bei Kronstadt/Brasov betrug bei der Erfassung im Jahre 2004 genau 24.168. Hier ist seit Januar dieses Jahres von der Stiftung „Raphael“ ein Tageszentrum für Behinderte eröffnet worden. Über die Schwierigkeiten, mit denen so eine Einrichtung zu kämpfen hat, um überhaupt ihre Tätigkeit entfalten zu können, gab ihr Gründer und Leiter Paul Jacob Auskunft.
Angefangen hat alles mit der Erfassung der in Zeiden lebenden Behinderten, über deren Gesamtzahl bisher keine Behörde Angaben machen konnte. Denn das bestehende Erfassungssystem ist ein so- genanntes „diagnostisches“, d. h. dass niemand als behindert eingestuft werden kann, der nicht auch einen Beleg, also ein ärztliches Zeugnis vorweisen kann. An und für sich ist das logisch, doch von den insgesamt etwa 700 Behinderten in Zeiden sind nur 400 offiziell als solche anerkannt. Die Differenz von 300 Kranken ist aus ganz verschiedenen Gründen nicht erfasst worden. Einer der wichtigsten ist und bleibt die Geldnot.
„Familien mit geringem Einkommen können es sich nicht leisten, zu einer Ärztekommission zu gehen, um auf diese Weise ein Zeugnis zu bekommen. Aber was sage ich eine, es sind vielleicht zehn solcher Kommissionen, denen sich ein Patient stellen muss, einige davon sind in Bukarest, zum Beispiel“, erklärt Paul Jacob. Also werden – wenn die nötigen Mittel fehlen – selbst Opfer eines Schlaganfalls in der Familie gepflegt. Und solche Fälle sind zahlreicher, als man annehmen würde, vorwiegend in den unteren und auch mittleren sozialen Schichten.
Wie kann da Hilfe geleistet werden und womit sollte man anfangen? Die Stiftung begann mit der Erfassung und schaffte sich einen klaren Überblick über die Zustände. Dann wurde der Hauptgedanke verfolgt, nämlich die Verbesserung der Lebensqualität, wie Paul Jacob sagt. Als konkretes Beispiel gibt er ein Opfer eines Schlaganfalls an, welches seit sieben Jahren die eigene Wohnung nicht verlassen hat. Erst nach einem Jahr Arbeit mit dem Patienten ist es Paul Jacob gelungen, den Patienten so weit zu bringen, dass dieser seine eigenen Ängste überwindet und die ersten Schritte über die Schwelle der Wohnung wagt.
Wo die Schwierigkeiten der Behindertenpflege liegen, ist nämlich ein Kapitel für sich. „Die erste Hürde ist erstmal psychischer Natur. Ein aktiver Mensch, der manchmal von heute auf morgen zum Pflegefall wird, muss so einen Schlag überwinden“, erklärt Paul Jacob, „dann erst beginnt die eigentliche Arbeit“.
Erste Erfolge stellten sich ein und die überzeugten dann Familien, die bis dahin den Zugang zu ihren Kranken verweigert hatten. Sie gaben nach und gestatten erste Besuche. Es war der Durchbruch der von der Mentalität errichteten Barrieren, gegen die nur Geduld und die sich langsam zeigenden Erfolge wirksam sind.
Es war der erste Schritt. Die Einrichtung eines Tageszentrums für etwa 40 Patienten mit professioneller Pflege und vor allem mit Behandlung ging schon etwas leichter. Heute verfügt die Stiftung über eigene Räume, in denen vor allem ein Zusammenkommen der Patienten möglich ist. Damit beginnt der Weg zur Resozialisierung solcher Fälle, die immerhin etwa zehn Prozent der Gesamtzahl der Behinderten ausmachen.
„Die Alltagsarbeit mit den Patienten im Zentrum fordert viel Einsatz und Verständnis, doch einmal zusammengebracht, erkennen die Patienten, dass sie mit ihrer Krankheit oder Behinderung nicht alleine sind. Sie beginnen zu kommunizieren und können – wenn ihre Krankheit, ihr Zustand das erlaubt – Beschäftigungen nachgehen. Wir haben gemeinsam gemalt und gemeinsam in der Gruppe Ball gespielt. Es sind für, sagen wir, „normale“ Menschen ganz banale Dinge und Handlungen, durch die jedoch so ein Patient sein Selbstvertrauen wiedererlangt, sich von der Gesellschaft wieder aufgenommen und akzeptiert fühlt.“ So berichtet Jacob Paul über seine Tätigkeit im Zentrum.
Über die ersten Erfolge zeigt sich auch die holländische Partnerstiftung „Samen voor Codlea“ (Zusammen für Codlea), die praktisch 2002 den Anstoß für diese Einrichtung gab, zufrieden. Ihre Hilfe ist noch notwendig, mindestens bis die Stiftung ihre Zulassung erhält, und diese wird in frühestens sechs Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit des Tageszentrums erwartet. Dann erst werden öffentliche Mittel beantragt werden können, um die laufenden Kosten zu decken.
Hans Butmaloiu
Artikel erschienen in der ADZ vom 21.04.2008