14. September 2025

Es war der Samstagnachmittag des 6. Burzenländer Musikantentreffens 2023 in Friedrichroda. Die Idee zur Gründung einer Blaskapelle für die Teilnahme am Großen Sachsentreffen 2024 in Hermannstadt erreichte begeisterungsfähige Musikfreunde. Und zwar sollte dort hundertjährige Blasmusik von Martin Thies an ihrem Herkunftsort neu gespielt und so die Musik des heimischen Komponisten und zeitweiligen Dirigenten der Zeidner Blaskapelle wieder an die siebenbürgische Öffentlichkeit gebracht werden.

Zu Reinhard Göbbels (Zeiden) Idee gesellten sich Klaus Knorr (Honigberg), langjähriger „Motor“ der „Vereinigten Burzenländer Blaskapelle“, sowie Hatto Müller (Neustadt) als ideale Unterstützer dazu und das Projekt kam ins Rollen.

Am letzten Novemberwochenende 2023 waren es dann 20 Musikanten, die im Böblinger Vereinsheim der Siebenbürger Sachsen zur ersten Probe zusammenkamen. Das Notenmaterial umfasste damals schon neben den bekanntesten und vielfach gespielten Märschen, Polkas und Walzern, wie „Seminaristen“-Marsch oder „Lenzblüten“-Walzer, über zwei Dutzend weitere Musiktitel, die aus alten (teilweise original Thies-) Handschriften sowie Beständen des Landeskirchlichen Archivs Hermannstadt les- und spielbar aufbereitet worden sind, ohne dem Originalsatz einen Abbruch zu tun.

2025 steht nun ein Notenheft mit 40 Kompositionen zur Verfügung, das neben den vier „Lieferungen“ zu je acht Stücken des „Siebenbürgisch-Deutschen Tanzalbums“ von Martin Thies weitere eher unbeachtete Kompositionen beinhaltet. Im Vorwort zu diesem Notenheft schreibt Reinhard Göbbel: „Martin Thies (01.10.1881-13.09.1940) aus Wolkendorf bei Kronstadt (rumänisch: Vulcan/Braşov) komponierte für die Ortskapellen des Burzenlandes. Damit zauberte er Tonbilder von der Landschaft der Heimat im südöstlichen Karpatenbogen Siebenbürgens und verzauberte die Menschen mit seinen Weisen und Widmungen.

Er schrieb Musik zu verschiedenen Anlässen oder Feiern und passte sie dem jeweiligen Niveau der Musikanten an. Durch seine Lehre bei Rudolf Lassel, dem Studium am Wiener Konservatorium und der Tätigkeit in Militärkapellen der k.u.k-Monarchie sowie der Kronstädter Stadtkapelle unter Paul Richter war seine Musik von Einflüssen der Zeit geprägt.

Schnell verbreitete sich die damals neue Blasmusik, auch und gar nicht abfällig „Blechmusik“ genannt, in ganz Siebenbürgen und wurde bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts unentwegt gespielt. Als dann die höheren Ansprüche an Rhythmik, Harmonie, Musiktechnik und Notenmaterial die inzwischen bis zur Unleserlichkeit abgegriffenen Notenhefte in Schubladen, auf Dachböden oder im besten Fall in unsortierte Archive verbannte, geriet diese Musik zunehmend in Vergessenheit.

Durch einen Zufall bekam ich 2014 in Zeiden einen verstaubten Stapel Noten in die Hände, der meine Neugierde so weckte, dass daraus dieses Notenheft entstanden ist. Es beinhaltet 40 Musikstücke von Martin Thies in einer neuen Bearbeitung, die den Spagat zwischen der Originalität des Komponisten und seines Zeitgeistes einerseits und den veränderten Standards der heutigen Blasmusik andererseits Rechnung tragen will.

Dabei hat mich das Ziel getrieben, so wenig wie möglich zu verändern und doch so viel wie nötig die oft Register übergreifende Zweistimmigkeit aufzubrechen, um mit Verzierungen bzw. harmonischen Variierungen heutigen Musikanten und Musikantinnen Lust darauf zu machen. Denn diese Musik soll gespielt werden! Das hat sich die Projektkapelle Martin Thies  vorgenommen.“

Eine Thies’sche Dynamik durchzieht jetzt bis zu 35 Burzenländer Musikanten und Musikantinnen, die mit hohem persönlichem ideellem und materiellem Aufwand sowie kräftiger Unterstützung der Heimatortsgemeinschaften, Nachbarschaften und der Regionalgruppe Burzenland eine stolze Tätigkeit vorweisen können. Im Jahr 2024 waren das ein zweites Probenwochenende (6.-7. April), der Umzug und das Platzkonzert beim Heimattreffen am Pfingstsonntag (19. Mai) in Dinkelsbühl, der Umzug und das einstündige Konzert auf der Hauptbühne anlässlich des Großen Sachsentreffen in Hermannstadt (3. August), ein Standkonzert auf dem Kronstädter Rathausplatz (6. August), Musik zum Zeidner „Schulfest mit Wunderkreis“ (8. August), das Heimattreffen in Tartlau (10. August) und letztendlich die Festmusik anlässlich der Wiedereinweihung der Kirchenburg in Wolkendorf (11. August).

Das zweite „Projektjahr“ der „Thies-Kapelle“ steckte dann noch einmal voller Inspiration und Entdeckungen, die einer persönlichen Begegnung zwischen Göbbel und einer Enkelin Martin Thies‘ geschuldet sind. Letztere erfuhr dabei erstaunlich viel Neues über ihren „nie gekannten Großvater“, ersterer erhielt Bestätigung angelesener Kenntnisse, aber auch tiefe Einsicht in biographische Wege des Menschen sowie originale Materialien des Musikers Martin Thies.

Das Resultat dieser aufwändigen Beschäftigung mit dessen Leben und Musik präsentierte die Kapelle beim 7. Burzenländer Musikantentreffen in Dinkelsbühl. Angehalten, vorab mithilfe des inzwischen umfangreich angelegten und gepflegten digitalen Speicherortes, selbständig zu proben, brachten es am 16. März 2025 über 30 Musikanten nach nur 80 Minuten gemeinsamer Probe fertig, in einer musikalischen Zeitreise Geschichten und Geschichte des Heimatkomponisten zu erzählen, „wobei er (Göbbel) sehr authentisch Passagen aus Martin Thies’ Leben“ darstellte, wie Ingeborg Binder in der Siebenbürgischen Zeitung (30.03.25) schreibt.

Und weiter: „Wir hörten Titel von Polkas, Walzern und Märschen, die Erlebnisse, Emotionen, Harmonien wie Disharmonien der damaligen Zeit und Umstände in Tonbildern wiedergaben: Erster Versuch-Marsch, Mein Schatz-Walzer, Olga-Walzer (der Tochter gewidmet), Seminaristen-Marsch (dem Sohn Edgar gewidmet), Schwamm drüber-Polka, Hochzeitswalzer, Die Blonde (Rumba), martialischer Marsch: Spielbereit u.a. Dazu lief eine Präsentation mit dem Stammbaum von Martin Thies. Wir kamen in den Genuss eines erstklassigen Konzertes dank der unglaublichen Leistung unserer Musikanten, motiviert von Reinhard Göbbel, der das Konzert mit den folgenden Worten beendete: Lassen Sie uns weiter zusammen musizieren und anknüpfen an Erinnerungen aus vergangenen Zeiten.“

Der bislang letzte Einsatz war die erneute Teilnahme beim Heimatfest am Pfingstsonntag (8. Juni) in Dinkelsbühl, wo der Elan trotz heftigen Sturmes und Regens weder verpuffen noch weggespült werden konnte. Sinnbildlich ist damit die Hoffnung verbunden, dass die „Burzenländer Blaskapelle Martin Thies“ weiterhin die Musik des „Cavaliers der siebenbürgischen Blasmusik“ spielt. Denn in ihr illustriert Martin Thies musikalisch eigene oder anderer Menschen Erlebnisse in den Orten, Wiesen und Wäldern um den Königstein, den Zeidner Berg oder den Schuler.

Wenn diese Musik gespielt wird, malen leidenschaftlich engagierte Musikanten und Musikantinnen mit ihren Harmonien, Tempi und Nuancen Tonbilder burzenländischer Gefühle, Gefilde, Geräusche, Gebräuche und Gebaren in die Herzen und Seelen der Zuhörerschaft. Alle, die bisher Bekanntschaft mit diesem Projekt gemacht haben, wünschen sich und anderen, dass aus dieser Schatzkiste siebenbürgischer Kultur noch viele Flammen der Begeisterung versprüht werden.

Sofern die „Kunsttruhe Thies“ von Kennern oder Nachkommen seiner Familie(ngeschichte) mit bisher Unbekanntem und Unbekannten bereichert werden kann, ergeht herzlich Einladung zur Kontaktaufnahme beziehungswiese Teilnahme an diesem Musik-Erlebnis.

E-Mail: projektkapelle.martin.thies@t-online.de

Reinhard Göbbel