04.06.2018

21. Ortsgeschichtlicher Gesprächskreis (ZOG) in Dinkelsbühl

Wie bei jedem großen Nachbarschaftstreffen der letzten Jahre gehörte der ZOG auch diesmal in Dinkelsbühl zum festen Programm. Dazu eingeladen hatten die beiden Organisatoren Udo Buhn und Helmuth Mieskes in den Konzertsaal des Spitalhofes. Im Mittelpunkt stand die Dokumentation „Die Aussiedlung aus Zeiden“, die der Vorstand der Zeidner Nachbarschaft vor einigen Jahren in Angriff genommen hat. Nach der Begrüßung ging Helmuth Mieskes kurz auf die geschichtliche Bedeutung für die Nachbarschaft ein und erläuterte die Gründe für das Projekt. Vorrangiges Ziel sei es, die Geschichte der Aussiedlung aus Zeiden anhand von Einzelschicksalen in den verschiedenen Aussiedlungsphasen (1965-1978, 1978-1989 und nach 1989-1992) festzuhalten und für kommende Generationen zu dokumentieren. Mieskes warb weiter für die Unterstützung dieses wichtigen Vorhabens und bat um die aktive Mitarbeit jedes Einzelnen. Denn die Vorkriegs-, Volksgruppen- und Nachkriegszeit – eine Geschichtsepoche von immerhin fast zwei Jahrzehnten – enthält in der Geschichte Zeidens Lücken, die für die Nachkriegsgeneration nie mehr zufriedenstellend geschlossen werden können.

Nachdem Werner Gross bereits bei der Zeidner Kulturtagung im April 2017 in Bad Kissingen seine Aussiedlung aus Zeiden im Jahr 1987 mit einem ehrlichen und offenen Erinnerungsbericht dargelegt hatte, präsentierte er den Teilnehmern in Dinkelsbühl seine persönliche Sichtweise über die Auswanderung der Zeidner Sachsen im Zeitraum 1965 bis 1992. Dabei verwies er auf die vielfältigen Geschichtsereignisse der damaligen Zeit und stellte die Frage nach dem Warum in den Mittelpunkt. Klar war, dass dabei die Ereignisse der acht Jahrzehnte nach 1916 angeführt werden mussten: der Ausgang des Ersten Weltkrieges, der Zweite Weltkrieg und seine verheerenden Folgen, die Enteignung und Verstaatlichung, die Deportation nach Russland, die Zwangsumsiedlungen innerhalb Rumäniens, die Familienzusammenführung, die staatlichen Schikanen, Verfolgungen und Bespitzelungen durch die Securitate, die verstärkten Assimilationsversuche durch den rumänischen Staat usw. Hinzu kamen die zunehmend miserable Versorgungslage und die allgemeine Verschlechterung des Lebensstandards besonders in den 1980er-Jahren. Ohne diesen geschichtlichen Zusammenhang fehlt dem Außenstehenden das Verständnis, wie Gross in seinen Ausführungen deutlich machte. Er konfrontierte die Zuhörer auch mit der undurchsichtigen Freikaufpraxis ab 1978, der offensichtlichen Verblendung der Unentschlossenen zu Hause durch Freunde und Verwandte und dem nicht zu unterschätzenden Domino-Effekt, der durch die Ausreise bisheriger Vorbilder (u.a. Lehrer, Pfarrer, Kurator, Ingenieure) zunehmend ausgelöst wurde.

Den Exodus der Jahre 1990-1992 betrachtete er als Folge der unsicheren politischen Situation nach 1989, die es den meisten Unentschlossenen leicht machte, sich letztlich für die Ausreise zu entscheiden.

Mit Hinweis auf die Unvorhersehbarkeit der Geschichte zeigte er im Nachhinein Verständnis für alle Zeidner (und Siebenbürger Sachsen), die Rumänien aus den unterschiedlichsten und durchaus nachvollziehbaren Gründen den Rücken gekehrt haben. Im Inneren seines Herzens – und das spürte man bei seiner Schlussargumentation – überkommt ihn jedoch Wehmut, wenn er heute, über 30 Jahre nach seiner Ausreise, über das Warum nachdenkt.

Nächste Rednerin war die Psychotherapeutin Grete von Hollen, geb. Königes, die 1971 mit 28 Jahren als Studentin aus Zeiden/Bukarest nach Deutschland aussiedelte. Sie führte den Teilnehmern die psychologischen Konsequenzen der Ausreise vor Augen und brachte Beispiele zum Thema Flucht, Vertreibung und Aussiedlung (siehe auch den Artikel im ZG 123). Wirkung erzielten ihre fundierten Feststellungen zu den persönlichen Auswirkungen auf uns selbst, über die der Einzelne vielleicht noch nie richtig nachgedacht hat. Der Frage nach der eigenen Schuld oder derer, die die Aussiedlung in den Zeidner Familien vorantrieben, wurde in einer emotional geführten Diskussion ausgiebig nachgegangen. Dabei konnte man unterschiedliche Meinungen hören, die in der Kürze der Zeit nur ein sehr verzerrtes Stimmungsbild zum Thema Schuld zuließen. Auch wenn die Zeit für eine breitere und tiefgründigere Diskussion nicht reichte, konnte jeder seine „Hausaufgabe“ mitnehmen, nämlich sich darüber Gedanken zu machen, was die Ausreise für ihn persönlich für Folgen hatte. Das könnte auch Thema der zu erstellenden Dokumentation und eines weiteren Gesprächskreises sein.

Nachdem Helmuth Mieskes kurz die weitere Arbeit des ZOG ausführte und die nächsten Dokumentationen in Erinnerung rief, u.a. „Die Konfirmation in Zeiden im Wandel der Zeit“ und „Zeidner Persönlichkeiten, Heft2“, stellte Franz Buhn als Autor die Neuerscheinung „Das Musikleben in Zeiden“ (Buch 20 der Schriftenreihe „Zeidner Denkwürdigkeiten“) vor und warb für dieses reichhaltig bebilderte und informative Buch, das mehr ist als nur ein Streifzug durch das Zeidner Kulturleben.

Mit der Einladung zum 1. Zeidner Literaturkreis gleich im Anschluss wurde ein interessanter Gesprächskreis, der erfreulichen Zuspruch fand, abgeschlossen.

Böbingen, den 25. Mai 2018

Helmuth Mieskes