Kreuzweise

Zur Ausstellung „KREUZ & QUER“ von Otto Scherer

Wenn der Bayer „Kreuz“ hört, denkt er primär an den Herrgottswinkel, den Gekreuzigten, der ihn durch all seine Schuljahre begleitet hat. Manch einer mag infolge gesundheitlichen Entgleisens auch an sein „Kreuz mit dem Kreuz“ erinnert werden. Der Künstler jedoch denkt immer einen Schritt weiter als wir. Und so bietet er in einer vielfältigen Ausstellung in der Landsberger Säulenhalle überraschende neue Sichtweisen.

Hat sich Otto Scherer in den letzten Jahren der Formen „Kreis“ und „Quadrat“ angenommen, so scheint sich diese Schau nur auf das „Kreuz“ zu konzentrieren. Dies mag der erste Eindruck sein, doch er täuscht. Denn immer wieder entdecken wir auch die beiden anderen Formen in neuer Verbundenheit, die Kontinuität schafft.

Die in Landsbergs Kunstmeile neben dem Stadttheater gelegene Säulenhalle scheint wie geschaffen für diese Performance. Wenn aus den alten Terrakotta-Fliesen, die schon lange die Spuren der Zeiten tragen, die sie erlebt haben, ein absolut blankpoliertes schräges Kreuz in perfektem Schwarz wächst, dann stoßen hier sichtbar Vergangenes auf Neues, Tradition auf Moderne, Althergebrachtes auf Visionäres. Doch so gewichtig die kantige Form im weiten Raum steht, so zart und verletzlich hat Otto Scherer ihr Inneres gestaltet. Hunderte feiner Goldblättchen bewegen sich mit jedem Hauch des Besuchers, mit jeder Bewegung der Vorbeigehenden. Dabei erfreut ein schier unendliches inneres Leuchten das Herz des Betrachters.

Letzteres findet sich auch in anderen Stücken wieder. So in einer überdimensionalen Fliese, die eine Wüste abzubilden scheint, aus der in angedeuteter Kreuzform neues Leben blubbert, goldene Blasen im „Sand“ hinterlassend. Und in einem Würfel, den neugierig jemand kreuzweise aufgeschlitzt und eine winzige Ecke angehoben hat, nur soweit, bis man merkt: hier ist das goldene Leuchten beheimatet. Oder in dem scheinbar achtlos dahingeworfenen, grobschlächtigen schwarzen „Teig“-Brocken, der bei näherer Betrachtung ein perfektes goldenes Kreuz birgt, das so fein gearbeitet ist, dass man sich darin spiegeln kann.

Überhaupt – dieses Spiegeln! Keiner, der nicht mit staunendem Blick an der großen Kugel hängenbleibt, die, von einem roten Kreuzband gehalten, in jedem ihrer Viertel den Hineinschauenden selbst, aber auch die Kreuzgewölbe der altehrwürdigen Säulenhalle spiegelt und gleichzeitig die jeweilige spitze Ecke des Podestes aufweicht, mit der Umgebung zerfließen lässt. Gegenüber ein Kreuz aus vier platinbezogenen Objekten, die an überdimensionale Fernsehröhren erinnern. Und auch hier wird unser Bild mit dem unserer Umwelt verzerrt und gebündelt. Oder in dem Wandkreuz aus platinbedampfter Keramik, die so perfekt gearbeitet ist, dass sich alles in vielfachen Facetten wiederholt, sich bei jeder Bewegung wie in einem Kaleidoskop neu zusammensetzend. Ein Quadratmeter illusorische Welt.

Ebenso unwirklich wie jenes Kreuz aus offenen goldenen Schalen, das am Boden angeordnet ist: in jeder Schüssel Blut. Das Blut Christi, das bei der Eucharistiefeier im Kelch dargeboten wird, aber vielmehr noch das Blut, das im Namen des Kreuzes vergossen wurde – und hier endlich zur Ruhe kommen darf. Illusion ist auch das Eck-Kreuz, das scheinbar aus der Zimmerecke erwächst. Und auch ein weiteres Trugbild wird hier aufgedeckt: dass islamisches und christliches Heiligtum so verschieden wären. Denn wenn sich der schwarze Würfel der Kaaba allmählich entfaltet, führen uns seine Seiten vor Augen: Ich bin ein Kreuz. Ein schwarzes Kreuz mit einem innenliegenden, goldenen Licht.

Weniger freundlich ist das Triptychon gedacht, das mahnend im Raum hängt. Aus vielen gleichen Einzelaufnahmen hat Otto Scherer das erste Bild zusammengesetzt, doch was diese zeigen, ist ein Skandal. Der Skandal, der vor wenigen Monaten die bayerisch-christliche Welt erschüttert hat: unter der roten Kutte ein weiteres Paar Füße, klein und nackt – und hilflos, möchte man hinzufügen. Schutzbefohlene, deren Vertrauen missbraucht wurde. In diesem Sinne soll auch die zweite dieser drei Kompositionen verstanden werden: ein Kreuz aus Kondomen, die, wenn sie nicht von eben diesem Kreuz verbotenerweise festgehalten wären, ein paar Menschenleben vor Aids hätten retten können. Nur einen Schritt weiter stellen Bilder von Hammer und Sichel ein neues Kreuz zusammen. Rot flammt der Hintergrund auf, aber die einmontierten Oberlippenbärte an den Kreuzenden verbinden mahnend die beiden schrecklichen Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Zu Viele hatten auch dieses Kreuz zu tragen.

Neben dem kleinen, fast zu übersehenden Kreuz, das weiß und zart auf schwarzem Wachs ruht, beherrscht ein gewaltiges Dornenkreuz in Schwarz-Rot den Raum. Wie blutige Haizähne ragen die hölzernen Dornen aus seinem schwarzen Schlund, eine doppelte eiserne Jungfrau, schonungslos offen an die Wand genagelt. Hier muss jeder hinschauen, die Faszination des Grauens erleben und beim Heimgehen die Mahnung mitnehmen: Lass es nicht wieder zu!

Diese Hinführung zum Schauen, zum Begreifen der Form hinter der Form, der Verzahnung von Rot und Schwarz, goldener Helle und schwarzer Dunkelheit ist Otto Scherer grandios gelungen. Keiner, der den Raum nicht anders verlässt, als er gekommen ist! Man kann darin die vielen einzelnen Materialien sehen: Acryl, Ton, Holz, Edelstahl, Aluminium, Gips, Wachs, Lack, Platin, Gold. Aber was wir noch viel mehr erkennen: den Spiegel unseres Selbst. Wir Menschen mit unserer oft rauen Schale und dem zarten, weichen Kern, dem inneren Schatz – einem unerschöpflichen Energiequell, aus dem auch diese Schau entstanden ist.

Der Künstler Otto Scherer, der in Zeiden geboren und im Landsberger Raum längst kein Unbekannter mehr ist, wie Dr. Gudrun Szczepanek bei der Vernissage betonte, ist mit dieser Ausstellung über sich hinausgewachsen.

Carmen Kraus, Landsberg am Lech

Siehe auch den Bericht von der Vernissage im Landsberger Tagblatt: 
http://www.augsburger-allgemeine.de/landsberg/Die-Sprache-des-Kreuzes-id16658071.html

und seine Vorstellung als Bewerber für den Ellinor-Holland-Kunstpreis 2011: 
http://www.augsburger-allgemeine.de/landsberg/Zweihundert-Jahre-spaeter-id16792771.html

sowie die Homepages des Künstlers/Ofenbauers: 
www.ottoscherer.de bzw. http://www.scherer-keramik.de