Eine Begegnung der besonderen Art

Im Juli gastierte die rumänische Folkloregruppe Magura aus Zeiden eine Woche lang in Ottobrunn bei München. Eingeladen hatte sie zum Ottobrunner Kultursommerfest der Kontaktkreis Siebenbürgen unter der Federführung von Ex-Bürgermeisterin Prof. Dr. Sabine Kudera sowie die Ballett- und Musikschule der Gemeinde. Bericht über eine Begegnung.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Wenn 36 eine Reise tun und 35 davon Rumänen sind (einer war ein Sachse), dann können, so will es das Klischee, die anderen was erleben – die nämlich, in deren Land die dakischen Horden einfallen, um es auszuplündern. Richtig? Falsch!

Erleben konnten die Gastgeber zwar wirklich etwas, aber es war nur Angenehmes. Denn was die Folkloregruppe Magura bot, war erstaunlich – musikalisch wie menschlich.

Die Ottobrunner begegneten einer unverstellten Truppe, die gern tanzte, sang und musizierte, kurzum: die Spaß ohne iPod, Computer und all die Segnungen des Wohlstands hatte, die hierzulande so unverzichtbar für die Freizeitgestaltung sind. Wie aber verlief die „Reise“ der Gastgeber in die rumänische Seele – mit 36 jungen Leuten aus Zeiden als „Reiseführern“?

Der Abend nach der Ankunft gestaltete sich geradezu dramatisch. Rund die Hälfte der vorwiegend jungen Neuankömmlinge war zum ersten Mal im Ausland und fern ihrer Eltern – Tränen der Übermüdung flossen reichlich. Vorweggenommen sei, dass gerade die am meisten vom Heimweh Gebeutelten am Schluss fast wieder Tränen in den Augen hatten – aber diesmal, weil sie gern noch geblieben wären.

Am ersten Tag durfte die erheblich ausgeruhtere, vom „Jetlag“ über Nacht wundersam genesene Mannschaft etwas über München erfahren. Nicht die Fremdenverkehrsprofis der bayerischen Hauptstadt indes lieferten der Reisegruppe ein Programm, nein, die bestens organisierte Zeidner Nachbarschaft hatte mit Netti Königes und Renate Kaiser zwei hochkarätige Touristenführerinnen aufgeboten. Sie erläuterten den wissbegierigen Osteuropäern die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Münchens in einer Sprache, wie man sie bei geführten Reisegruppen nur ganz selten hört. Anschließend blieb in der Traditionsgaststätte Donisl genug Zeit, das Gesehene und Gehörte zu verdauen – zusammen mit ansehnlichen Portionen Schweinshaxn und Knödeln.

Der anschließende Einkaufsbummel diente weniger dem Einkaufen als dem Staunen. Zu teuer war alles.

Am Samstag folgte dann der Auftritt beim Ottobrunner Kultursommer. Die temperamentvolle Darbietung riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Dasselbe gilt für den Auftritt im Hanns-Seidel-Seniorenhaus, wo die Hörgeräte plötzlich überflüssig waren. An den weiteren Tagen wurden die BMW-Welt, der Olympiapark, das Tollwood-Gelände, die Flugwerft Oberschleißheim und der dortige Schlosspark besichtigt. Großen Spaß machte den jungen Rumänen der Besuch des Ottobrunner Phönix-Bades mit den beiden großen Rutschen. Allerdings gab es bei der anschließenden Brotzeit wie schon beim Sommerfest und zwei weiteren Abenden davor Wiener Würstel und viel zu wenig Brot.

Brot in rauen Mengen und obendrein stapelweise Mici lagen hingegen im Schmidts'schen Schrebergarten in Geretsried bereit, den die Gruppe nach einer Tour durch das Voralpenland mit Schifffahrt auf dem Starnberger See ansteuerte. Als Gastgeber fungierten diesmal nämlich nicht sogenannte „Reichsdeutsche“, die mit siebenbürgisch-rumänischen Grundnahrungsmitteln nicht vertraut waren, sondern Vertreter der Zeidner Nachbarschaft unter Führung von Altnachbarvater Udo Buhn.

Kaum waren die Grillschwaden verzogen, holte die Musikcombo der Folkloregruppe ihre Instrumente heraus und erfüllte die Gartenkolonie mit Weisen, wie sie sicher noch nie durch die Grünanlage am Rande von Geretsried geklungen waren. Wer befürchtete, beunruhigte Nachbarn würden ob der fremdartigen Geräusche und Sprache Polizei, Feuerwehr und GSG9 gleichzeitig rufen, atmete spätestens dann erleichtert auf, als der Vize-Chef der Schrebergartenanlage begeistert einen Kasten Spezi über den Zaun reichte und Zugabe forderte. Immer ausgelassener sangen, spielten und tanzten die Besucher aus dem Osten – aber nicht nur sie: Die Zeidner sangen, spielten und tanzten mit, als hätten sie die rumänische Kultur wenn schon nicht mit der Muttermilch, so doch mit der Tuica ein gesogen.

Bald wurde deutlich, dass die jahrhundertelangen Barrieren zwischen rumänischer und sächsischer Bevölkerung einst vielleicht nicht so undurchlässig waren, wie mancher gedacht hatte. Trotz einer 800-jährigen Geschichte nicht ohne Konflikte zwischen Rumänen und Sachsen hat die kleine Region in den Karpaten Multi-Kulti gelebt, als der Begriff in Deutschland noch nicht einmal erfunden war. Zeidens Horizont ist eben weit.

So erlebte der lauschige Garten von Liane und Otti ganz unverhofft eine Begegnung der besonderen Art mit hohem Nostalgiefaktor.

Zufrieden machte sich die Folkloregruppe nach diesem unzweifelhaften Höhepunkt ihrer einwöchigen Tour spät abends auf dem Weg zurück nach Ottobrunn, um am nächsten Tag in die Heimat zurückzukehren. Und auch für die Ottobrunner und Zeidner in Deutschland war die „Reise“ zu Ende: für die Ottobrunner die Reise in eine fremde Kultur, für die Zeidner die Reise zurück in einen festen Bestandteil ihrer Vergangenheit. Während die jungen Rumänen mit kleinen Geschenken wie Fuß- und Basketbällen oder Kaffee zurückkehrten, blieb den Ottobrunner Gastgebern das Geschenk, eine unbekannte Mentalität kennengelernt zu haben.

Harda Kuwer und Reinhard Ferstl, Ottobrunn